STASIOPFER
Aufarbeitung von MfS- Unrecht

 

Navigation            MfS Akten Infoarchiv Hilfen Gesetze Literatur Filme Bildarchiv Links OV Anarchist Extra


Gästebuch

Forum

Home


Medienberichte

Veranstaltungen

Aktuelles

Tipps

IM SIMON

IM Oertel

Kontakt

AKUT

WICHTIG

 

 

 


Medienberichte



Mikrofon - Presseartikel zum Thema MfS und DDR Unrecht

"Demokratie funktioniert nur, wenn alle mitmachen" – das gilt allerdings auch für Diktaturen

 

Erinnerungen an die DDR

Von den richtigen Gefühlen im falschen Staat: Jeder hat das Recht, sich seiner eigenen Geschichte bewusst zu werden

Im vergangenen Jahr wurde ich verschiedentlich gefragt, wie es mir gelungen sei, so frei und leicht über meine Kindheit in der DDR zu schreiben, wo ich doch unter Staatsfeinden groß wurde (oder wen der Machtapparat dafür hielt) und also mit all den Konsequenzen vertraut war, die dieses Umfeld in der ostdeutschen Diktatur mit sich brachte. "Sie erzählen ganz ohne Bitterkeit davon - als wäre es eine glückliche Zeit gewesen." Die Wahrheit ist, es war eine glückliche Zeit, auch wenn mir die politische Sachlage als Kind keine Zeit ließ für einen naiv verträumten Blick auf den Realsozialismus. Aber ich war glücklich, weil ich mit den Menschen zusammen war, die ich liebte, weil Westschokolade nicht alles im Leben ist und weil mir dieser Staat, der seinen Bürgern nicht wohlgesinnt war, am Ende doch nichts anhaben konnte. Ich bin mehr als glimpflich davongekommen.

Sicher hätten die äußeren Umstände leichter sein können für mich, wäre ich angepasster DDR-Durchschnitt gewesen, mit Eltern in der Partei, FDGB-Urlaub in Kühlungsborn und einer Dreizimmerwohnung in Marzahn. Aber ich glaube nicht, dass sich mein Glückspotenzial dadurch vergrößert hätte. Im Gegenteil. Viel furchtbarer als das Ertragen von Duckmäusern, Denunzianten, Pionierleitern, Parteisekretären und Parolenwiederkäuern scheint mir heute die Vorstellung, ein Teil von ihnen zu sein. Ich bin dankbar, dass mir das erspart blieb - nicht nur, weil mein Leben selbst unter Bewachung und Reglementierung vermutlich deutlich fröhlicher und hedonistischer war als das der meisten Mitmacher. Vor allem der beklemmend dumpfe Geist der späten DDR lässt mich immer noch schaudern. Ich schwöre, es ist wahr: Im Frühsommer 1989 antwortete ein DDR-Student ohne jede Ironie auf die Frage, warum er Platon für einen idealistischen Philosophen halte: "Weil er die führende Rolle der Arbeiterklasse nicht erkannt hat." Das ist die bittere Wahrheit über die letzten Jahre vor der Wende: Trivialität, Gedankenlosigkeit, Desinteresse.

Aber wer erinnert sich heute schon gern daran, wenn er zurückdenkt? Man mag's ja kaum noch aussprechen, das böse Wort mit O, aber an dieser Stelle ist jetzt kein Entrinnen mehr. Denn eins wurde beim Phänomen Ostalgie beharrlich ignoriert: eine differenzierte Beschreibung dessen, was sich hinter diesem griffigen Schlagwort eigentlich verstecken soll. Staatsbürgerliche Wehmut, würde ich vermuten. Aber wenn Ostalgie das Zurücksehnen nach der DDR sein soll, dann verstehe ich nicht, wie sich Wolfgang Becker mit "Good Bye, Lenin", der ja nun wirklich bei jeder Gelegenheit genannt wurde, dessen verdächtig machen konnte. "Good Bye, Lenin" ist kein heimwehkranker Retrofilm, sondern ein feinsinniges und liebevolles Stück über Menschen in einer Ausnahmesituation. Wenn überhaupt, wird erzählt, was dieser Staat hinterlassen hat im Leben seiner Bürger. Oder ist im 14. Jahr der Wiedervereinung die Arroganz schon so weit gediehen, dass bloßes Zurückdenken an Erlebnisse im untergegangenen Reich als ostalgischer Akt gilt? Sind richtige Gefühle im falschen Staat unerlaubt? Das wäre anmaßend. Jeder hat das Recht, sich an seine eigene Geschichte zu erinnern. Auch Ossis. Ausschlaggebend scheint mir in diesem Erinnerungswust nicht, dass, sondern wie man sich erinnert. Denn der Blick auf das Private ist das eine, die Verharmlosung eines menschenverachtenden Systems etwas ganz anderes. Hier scheint mir der Kern des ostdeutschen Pudels zu liegen. War doch nicht alles schlecht. Das Problem an diesem Satz ist, dass er eigentlich meint: War doch alles gut. Aber das war's nicht.

Erinnerungsfähigkeit hängt offenbar sehr von der Seite ab, auf der man einst stand. Wenn Katarina Witt sich ungerührt im Blauhemd auf die RTL-Couch setzt, dann zeigt uns das vor allem ein mangelndes Maß an Selbstreflexion. Ich hätte sie für weniger hemmungslos gehalten. Zumindest stünde es ihr besser an. Aber Demut ist bekanntlich nicht die hervorragendste Eigenschaft derer, die ohne Zweifel sind. Da ist Goldkati nicht die Einzige. Der Lehrer, der mich 1981, ich war gerade zehn Jahre alt, öffentlich zur faschistischen Agentin stempelte, weil ich den Aufnäher "Schwerter zu Pflugscharen" trug, der unterrichtet heute noch an derselben Schule. Und nicht irgendwas, nein, politische Bildung! Was soll man dazu sagen? Am besten, man schnauft verächtlich in sich hinein. Denn das ist kein Treppenwitz der Geschichte, das ist die Banalität des Lebens. Machen wir uns nichts vor.

Und lassen wir uns davon nicht entmutigen. Diese ganze mediale Welle mit ihrer Verharmlosungstaktik hat die kollektive Erinnerung nicht verändert. Sie hat nur denen, die an einen anderen Staat denken als ich, wenn das Wort DDR fällt, ein neues Selbstbewusstsein gegeben. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Leute den kritischen Blick auf Zeiten meiden, die sie nicht wie mutige Helden aussehen lassen. Und obschon es moralisch schwach ist nach 15 Jahren Bedenkzeit, gehört Verdrängen doch zum Alltag. Nur sollten wir uns immer vergegenwärtigen, dass dieser schmerzlindernde Mechanismus, wie Jean Améry einst sagte, nur Tätern zur Verfügung steht - aber daran darf die Natur eines terrorisierenden Staates nicht gemessen werden. Offenbar gibt es heute unter Teilen der deutschen Bevölkerung (auch im Westen!) das Bedürfnis, sich mit der DDR an ein Land zu erinnern, in dem es keine Schlangen vor dem Konsum gab, keinen alltäglichen Versorgungskampf, kein monatelanges Warten auf den Klempner, keine erniedrigende Eine-Hand-wäscht-die-andere-Unkultur, keine Stasi-Knäste und Häftlingsfreikäufe, ein Land ohne Kachelöfen, ohne stinkende Autos, ohne Eingesperrtsein, Mauertote und Bevormundung, kurz ein Land, das viel freier und offener daherkommt, als es der ganze fiese graue Osten tatsächlich war. Ich frage mich, wie viel Nordhäuser Doppelkorn man eigentlich kippen muss, damit man das ernstlich glaubt. So besoffen kann sich doch nicht mal Egon Krenz trinken.

Nein, wir, die wir die Wahrheit besser kennen, sollten gegen dieses Leugnen am besten vorgehen, indem wir von unseren Biografien erzählen und nicht aufhören zu zeigen, dass die DDR auch aus einem 15-Jahre-Rückblick kein Kuschelstaat mit Zukunftsoption war, sondern ein zynisches, verlogenes System, in dem die spießigen Villen von Wandlitz noch das kleinste Übel darstellten. Wenn man immer wieder darauf verweist, geht es nicht um Verdammung des stattgefundenen Lebens (das ist eine dumme Behauptung aus der Agitpropschublade des "Neuen Deutschlands"), es geht nur um differenzierte Auseinandersetzung. Das Leben hat viele Farben, natürlich, auch und gerade in einer Diktatur. Aber deswegen bleibt sie doch immer eine Diktatur. Das ist keine Frage der Erinnerung, es ist, wie damals, eine des Standpunkts.

Eine Journalistin fragte mich einmal, wie ich den 3. Oktober begehen würde. "Den 3. Oktober? Gar nicht", antwortete ich. "Nie?", hakte die Reporterin nach. "Ja, doch", fiel mir dann ein, "1990. Da war ich bei Freunden auf dem Land, und wir haben Kohlsuppe mit Birnenkompott gegessen." So war es. Ich hatte es fast vergessen. 3. Oktober 1990, mit Kohlsuppe in die Marktwirtschaft! Mehr als Themen-Essen habe ich dem glücklichen Zusammenfinden des alten Reichs damals nicht abgewinnen können.

Diese ganze deutsche Einheit war mir fremd. Ich hielt sie nicht nur für verfrüht, ich hielt sie vermutlich sogar für komplett falsch. Ich weiß es nicht mehr genau. Ich weiß nur noch, dass ich innerlich dagegen war. Heute bin ich heilfroh über den Lauf der Dinge. Die rasche Wiedervereinigung war vermutlich der Lottogewinn meines Lebens. Aber 1990 wollte ich etwas halten, das unhaltbar war. Ich wollte eine DDR, wie ich sie mir immer gewünscht hatte: reformiert, demokratisch, gerecht. Was für eine Illusion! Heute weiß ich das. Nur erinnere ich mich nicht gern daran, weil ich mir töricht vorkomme. Aber genau darin liegt das versöhnliche Moment, das ich dem Verzweifeln entgegenstelle: Wenn wir vom Erinnern sprechen, dann gehen wir nämlich meist leichtfertig darüber hinweg, dass ein Teil der Erinnerung eben immer auch das Vergessen ist.

von Claudia Rusch

 

      Forum       Gästebuch    

Diese Website wird beständig erweitert. Kritik, Anregungen und Mitarbeit ist erwünscht.
Disclaimer Copyright © 2000-2001