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die Dunkelmänner unserer Zeit
Wer sind die geistigen Reaktionäre unserer Jahre? Erinnert sei an die Dunkelmännerbriefe, die Epistolae obscurorum virorum, jene Spottschriften, die vor knapp fünfhundert Jahren das gebildete Deutschland erheiterten oder erzürnten. Die Humanisten, voran Erasmus von Rotterdam, griffen das erstarrte, korrupte Rom breitseitig an. In ihrem Kampfarsenal spielten jene Briefe eine skurrile Rolle, die vorgaben, von besonders tumben Verfechtern des Verstaubten zu stammen. In Wirklichkeit schrieben die Schmähepisteln Ulrich von Hutten und zwei, drei quicke Freunde, deren Adepten und schließlich allerlei findige Federn, deren Namen und die Örtlichkeiten ihrer Schreibpulte nie mit Sicherheit ermittelt wurden. Nach dem Don Quixote gelten diese in schwierigst zu übersetzendem Küchenlatein abgefassten fingierten Briefe als zweite satirische Großtat der Literaturgeschichte. Die Dunkelmännerbriefe kamen deftig daher und griffen tief unter die Kutten - gegen sie wirkt Wolf Biermanns Sascha Arschloch geradezu als Streicheleinheit. Dunkelmänner - so heißen im Verlauf der Jahrhunderte mit variierenden Inhalten und Formen diejenigen, denen Gedankenfreiheit nichts gilt, die sich als Diktatoren oder ihre Satrapen wohlfühlen, Widerspruch als störend empfinden und deshalb nach Kräften verbieten. Sie sind Fundamentalisten, die meinen, den Stein der Weisen zu besitzen und mit ihm jeden Widerspruch erschlagen zu dürfen, Bücherverbrenner von der Inquisition bis zur SA, Zensurlakaien von Metternichs Zeiten an bis zur für die Druckgenehmigung oder -verweigerung zuständige Behörde der DDR unter Klaus Höpcke, der bis vor kurzem für die PDS im thüringischen Landtag Sitz und Stimme hatte und sich beispielsweise ungescholten zeigen durfte, wenn in der Paulskirche zu Frankfurt am Main der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels überreicht wurde, ein Nutznießer und Genießer unserer gegen ihn erstrittenen Freiheit. Die Freiheit wird bei uns selten gepriesen. Ein wundersames Lob habe ich gefunden: "Wenn die schimmernden Taten der Ruhmsucht und einer verderblichen Herrschbegierde auf unsere Bewunderung Anspruch machen, wieviel mehr eine Begebenheit, wo die bedrängte Menschheit um ihre edelsten Rechte ringt, wo mit der guten Sache ungewöhnliche Kräfte sich paaren und die Hilfsmittel entschlossner Verzweifelung über die furchtbaren Künste der Tyrannei in ungleichem Wettkampf siegen. Groß und beruhigend ist der Gedanke, daß gegen die trotzigen Anmaßungen der Fürstengewalt endlich doch eine Hilfe vorhanden ist, daß ihre berechnetsten Plane an der menschlichen Freiheit zuschanden werden. Nirgends durchdrang mich diese Wahrheit so lebhaft als bei der Geschichte jenes denkwürdigen Aufruhrs, der die Vereinigten Niederlande auf immer von der spanischen Krone trennte - und darum achtete ich es des Versuches nicht unwert, dieses schöne Denkmal bürgerlicher Stärke vor der Welt aufzustellen, in der Brust meines Lesers ein fröhliches Gefühl seiner selbst zu erwecken und ein neues unverwerfliches Beispiel zu geben, was Menschen wagen dürfen für die gute Sache und ausrichten mögen durch Vereinigung." Wie die alte Unterdrückung neu verklärt wird So Friedrich Schiller. Ich hege den tiefen Wunsch, ein Chronist unserer Tage möge mit dem gleichen Feuer ans Werk gehen, den Abfall des Volkes der DDR von seinen Bedrückern zu preisen, dieses Denkmal bürgerlicher Energie vor der Welt aufzustellen und in meiner Brust ein fröhliches Gefühl zu bestärken. Tatsächlich erleben wir das Gegenteil. In diesem Frühjahr sind allerlei Bücher erschienen, die bemerkenswert geballt die alte Unterdrückung verklären. Hermann Kant hat mit Okarina einen sein Leben tangierenden Roman vorgelegt. Dem betagten Wortspieler ist die Erfinderkraft weitgehend abhanden gekommen. Tatsächliches vermischt er mit Erfundenem so undeutlich, dass es beim Leser alle Entdeckerlust zerstört. Einmal äußert er, was seiner Meinung nach der Leser von ihm erwarte. Reißt er nun reuesüchtig die Brust auf und kriecht zu Kreuze? Auch damit kokettiert er: Wenn die Öffentlichkeit das Monster erwarte, habe man es gefälligst zu spielen. Es ist wie schon im Abspann, seinem Biografieversuch Anfang der neunziger Jahre: Er erzählt die Hälfte, lügt also durch Weglassen. Viele Manuskripte finden in unserer Freiheit einen Verleger, so auch Sascha Andersons 300 Seiten über seinen Verrat. Ist das nun der lange Weg zu sich selbst oder neue Täuschung? Als sein Doppelspiel ruchbar wurde, meinte ich, er müsse sich den Strick nehmen oder auswandern nach Australien oder Kanada, um als Schafhirt oder Kleinbahnstreckenwärter stumm zu büßen. Aber ich gewahre ihn seither auf Buchmessen, schwarz gekleidet und gemieden in Winkeln. Nun spielt er ein frisches Spiel mit sich und uns, probiert, was einer Öffentlichkeit zuzumuten ist, stellt sich der Diskussion und schweigt, wenn es für ihn ernst wird. "Es zerfetzt mich jetzt", erklärt er, der die Fetzen seines Ichs noch nie zusammenflicken konnte. So einer war auch Ibrahim Böhme, allerdings von minderer Härte. Beide waren und sind kein Fall für die Literatur- oder die Politikgeschichte, sondern für die Couch des Psychiaters. Schon manches mal habe ich gehofft: Das ist nun der letzte rote Husten, die meisten alten Diktaturfans haben sich endlich zum Begreifen und zum Lob der Freiheit durchgerungen. Aber da war der Wunsch wohl der Vater meiner Zuversicht. Fritz Rudolf Fries, den ich für meinen Freund hielt und der mich an die Stasi verriet, sieht in seiner Autobiografie im Zusammenbruch seiner Spitzelwelt nicht den Sieg der freiheitlichen Demokratie, sondern den Triumph Hitlers. "Das doppelte Fritz-chen" nennt ihn Focus. Schon immer hegte Fries Drang zum Hohen und Höchsten und schmückte sich mit Vertrauten in der Weltliteratur und im Leben. Penibel zählt er Botschaftsempfänge her; Günter Grass habe seiner Gefährtin Komplimente gemacht. So geht das: "Ich freute mich, Grass wiederzusehen. Zuletzt war ich ihm auf dem Hamburger PEN-Kongress von 1986 begegnet. Wir hatten in der mit schönster Kunst geschmückten Wohnung des Kritikers Fritz J. Raddatz gesessen, zusammen mit Rühmkorf, Kempowski ..." Keine Silbe über seine Zuträgerei zum Schaden von Kunert, Schlesinger, Fühmann, Jurek Becker und Stefan Heym. Die quälende Lektüre dieser Viertelwahrheiten haben wir nun hinter uns. Ganz und gar verzweifelt wirkt Volker Braun: "Da ist kein Land für mich." Er sieht keine Visionen mehr; das töte die Menschen oder treibe sie zur Gewalt. "Wir haben die Morgenröte entrollt, um in der Dämmerung zu wohnen." Armer Volker. Keine Visionen mehr, Landsmann aus Dresden? Ich reise über die ungültige Grenze bei Helmstedt und Hof, schaue angestrengt nach allerletzten Spuren, und meist finde ich nicht einmal die. Nennst du das Dämmerung? Europa voller Hoffnung: Nie mehr werden in Flandern Kanonen donnern oder Bomben auf England fallen, nie mehr Panzer an der Stalinallee, in Bitterfeld und Prag die Freiheit niederwalzen. Kein Bautzen II mehr, kein Buchenwald in zwiefacher Funktion. Auf dem Balkan wächst sehr langsam die Demokratie. Neue Visionen möchte ich dir zeigen, Volker, in Polen, in Brünn und im Baltikum. Ich lebe nicht in der Dämmerung, mein Freund, und bin deshalb zehnmal fröhlicher als du. Es könnte auch sein, in deiner Lebenserfahrung und Herzensbildung fehlen bloß ein paar Jahre Knast. Denn, so lehrt es uns Heinrich Heine, die Freiheitsliebe ist eine Kerkerpflanze. Das Verlangen des Westens nach einem Schlussstrich Bei Fries ist zu lesen: "Man lud mir alle Verbrechen der Firma auf wie einen Zentnersack." Bilden Sie sich nicht zu viel ein, Fries. Ihr eigenes Päckchen wiegt schwer, und Sie haben Zusatzporto zu zahlen. Nichts wüssten wir über Fries und Kant, Anderson und das ganze Gelichter, wäre es Politikern gelungen, die Stasi-Akten zu vernichten. Weit vorn stehen die Namen von Werthebach und diesem Diestel. Immer wieder werden Stimmen laut nach einem Schlussstrich, das war und ist kurzfristigen und kurzsichtigen politischen Interessen geschuldet. Derlei haben wir jedes Mal abschmettern können, und ich bin zuversichtlich, dass es immer wieder gelingen wird. Im Streit um die Kohl-Akten erlebten wir Rückschläge, doch das letzte Wort ist nicht gesprochen. Im Vorfeld der Wahlen in Sachsen-Anhalt hielt gar der Bundeskanzler einen baldigen Schlussstrich für denk- und vertretbar. Auch Thierse, der in seiner Nische brav durch die DDR kam, sollte sich in der Aktenfrage zurückhalten. Aus Bayern stimmte Stoiber, der meinte, mitgackern zu sollen, in diesen Chor ein. Erfreut ob solch unerwarteter Hilfe feixte die PDS. Und da hätten wir noch Friedrich Schorlemmer. Der wackere Pflugschmied von einst leistete sich bizarre Bocksprünge. Er forderte Tribunal mit Versöhnung zwischen Opfer und Täter, Schlussstrich und Freudenfeuer gar, er fand das verderbliche Wort von den "Opfern der Opfer", den armen Stasi-Tätern nämlich, die nun nackt und bloß im Licht standen, und predigte Vertuschen und Verkleistern, als die alten Schlapphüte im Mitteldeutschen Rundfunk in die Schlagzeilen gerieten. Hinterher schlich er bisweilen zu mir und zeterte, er habe das ja alles nicht so gemeint, und wir beide blieben die erprobten Gefährten. Er sollte dreimal nachdenken, ehe er einmal plappert. O Friederich, o Friederich! Dennoch stimmt mich sein Treiben halbwegs gelassen, denn alles, was er anfasste, ging nach kurzer Zeit schief, der Aufruf Für unser Land und das Tribunal, Schlussstrich-Appelle und Erfurter Programm, mit dem die PDS salonfähig gemacht werden sollte. Auch im Mitteldeutschen Rundfunk wurde entgegen seiner Absicht überprüft, obschon der Personalrat dorten wie schon vorher weithin Milde walten ließ. So sehe ich auch künftigen Aktionen des hektisch agierenden Fleischs von Wittenberg gelassen entgegen. Möge es nie dazu kommen, dass ich Friedrich Schorlemmer ein Halbdunkelmännlein nennen muss. Das lehrte uns Marion Gräfin Dönhoff: "Nicht nur der Erfolg ist entscheidend, sondern der Geist, aus dem heraus gehandelt wird." Aus dem Geist absoluten Verkennens jeden freiheitlichen Prinzips heraus handelte Werner Mittenzwei, als er sein Buch Die Intellektuellen schrieb. Schon der Titel ist anmaßend und irreführend. Sein Schauplatz ist Berlin zwischen dem Brandenburger Tor und Pankow, seine Figuren sind Schriftsteller und Literaturwissenschaftler um die Akademie und den Aufbau Verlag. Er schildert ihr Leben nicht an den Beispielen ihres Versagens, sondern verklärt sie als Opfer. Jürgen Kuczynski wird als Autor des Dialogs mit meinem Urenkel gelobt, dass er auch eines der finstersten Bücher des Stalinismus in der DDR- Wissenschaft schrieb, Fortschrittliche Wissenschaft von 1951, wird verschwiegen. Wie Hermann Kant lässt auch Mittenzwei unter den Tisch fallen, was ihm nicht passt. Stephan Hermlin ist für ihn der Protestierer gegen die Ausbürgerung Biermanns, geduldiger Berater sturer Apparatschiks und Opfer des Aufklärers Karl Corino. Die frühen Stalin-Lobpreisungen bleiben eben so unerwähnt wie seine späteren Attacken gegen "Ausreiser" und"Kriminelle" unter uns Emigranten. Harich gilt ihm als junger strahlender Revoluzzer, nicht aber als verkalkter Wüterich gegen Nietzsche oder Heiner Müller. Wir in Bautzen II erlebten Harich als Spitzel, auch nach seiner Haft bot er sich der Stasi als gefälliger Diener an. Für Mittenzwei bricht 1989 eine Welt zusammen und beginnt ein wahres Jammertal von Hass und Verfolgung. Als Hoffnungs- strohhalm erscheint ihm der Aufruf Für unser Land, in dem die Don Quixotes der DDR ein letztes Mal versuchten, ihre Illusionen zu bewahren. Aber die Sancho Pansas waren längst mit ihren Trabant-Eseln zu neuen Ufern unterwegs. Mittenzwei beklagt die neuen Leiden der ehemals Privilegierten, die sich nun nicht mehr als Fürstenerzieher fühlen durften, selbst "Reisekader" war nichts Besonderes mehr. Keine Zensur schützte sie fürderhin vor missliebiger Konkurrenz, sie mussten erfahren: Auch andere können schreiben und hauen gar den bisher Unanfechtbaren ihre Erzeugnisse um die Ohren. Westjournalisten fielen übereifrig und bisweilen rüde über sie her, als wollten sie zukleistern, wo sie bisher liebedienerisch gelobt hatten. Zornerfüllt betrachtete Mittenzwei die Arbeit der Gauck-Behörde. Wo die ehemals Verfolgten erfahren durften, wie sie gedemütigt und "zersetzt" worden waren, sieht Mittenzwei das glatte Gegenteil. "Mit Hilfe der Akten konnte man gezielt aussondern und jederzeit unerwartet eingreifen, wenn es Bedarf für politisches Handeln gab. So wurde die Behörde zu einem Instrument, mit dem man die Diffamierung und Liquidierung der sozialistischen Intelligenz betrieb." Mit dem Wort "Liquidierung" sollte ein alter Leninist sorgsamer umgehen. Die Spitzel von einst werden bei Mittenzwei zu Opfern: der schon erwähnte Fries durch die Presse "mit Stasi-Vorwürfen malträtiert". Neben Wolf Biermann, den Mittenzwei als den Thersites der DDR bezeichnet, wächst so Joachim Gauck zum Widerling ersten Ranges. Thersites aber war unter den Griechen Homers der mieseste und feigste, der den Achill wie einen räudigen Hund erschlug. Mittenzwei hat seine Niederlage von 1989 nicht überwunden und nennt die neunziger Jahre "das Jahrzehnt der Schmähungen". Selten hat einer aus der abgehalfterten ehemaligen DDR-Elite so unverstellt aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht. Wie er fühlen sicherlich ein paar zehntausend aufs Abstellgleis geratene Professoren, Generäle und Botschafter, Stabü-Lehrer und Kaderleiter, denen die Geschichte, von ihnen als "gesetzmäßig" begriffen, einen hässlichen Streich gespielt hat. Mittenzwei, der Kurt Hager unserer Tage. Am Ende seines Buchs geht es ihm um nicht weniger als die Menschheit, kleiner ist es nicht zu haben. "Deshalb wird ihr", der Menschheit also, "nichts mehr übrig bleiben, will sie überleben, das Experiment der Umwälzungen aller bisherigen Verhältnisse in radikal erneuerter Fassung zu wiederholen. Die Wissenschaft, die Theorie liefert dazu noch keinen Fingerzeig. Auch sollte man nicht so sicher sein, dass ein zweiter Anlauf gelingt. Der Fortschritt ist kein kontinuierliches Fortschreiten. Dazwischen liegen Katastrophen." Das hatten wir in einem Witz, in dem Lenin seinen Genossen zurief: "Zurück in die Schweiz! Alles noch mal von vorne!" Deshalb nenne ich Werner Mittenzwei einen roten Don Quixote. In diesem Vergleich liegt auch Trost: Cervantes ließ seinen Helden am Ende ein Testament machen und friedlich, befreit von Wahn- ideen, die Augen schließen. In diesem Sinne wünsche ich Mittenzwei ein langes Leben. Trost und Zuversicht folglich. Ich bin sicher: Was aus den Akten der Staatssicherheit wird, wie lange und für wen sie offen bleiben, was wann ausgesondert oder vereinfacht archiviert wird und so weiter, entscheiden zuallererst die Opfer. Die Politiker kommen und gehen, wir Opfer der DDR, der SED und ihres scharfen Schwertes aber bleiben. Auszug aus einer Rede Erich Loest aus Anlass des 6. Kongress der DDR Opferverbände und Initiativen in Leipzig, gehalten am 31.05.2002 |
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