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IN DER DDR INHAFTIERT, IN DER
BUNDESREPUBLIK GESCHEITERT
Am 20. November 2001 nahm sich Siegfried
E. Döring in Görwihl das Leben
Es gibt Menschen, von denen man Briefe bekommt, mit denen man am
Telefon spricht, die man so gut zu kennen glaubt, als habe man täglich
mit ihnen zu tun. Man glaubt, ihr Gesicht vor sich zu haben und man
hat sie doch niemals wirklich gesehen, nicht mal auf einem Foto.
Ein solcher Mensch war Siegfried Edmund Döring. Jenen Lesern, die nun
innehalten, weil ihnen der Name Döring, auch der Vorname Siegfried
bekannt vorkommt, sei gesagt: Es handelt sich um jenen Döring, der
sich in seinen Beiträgen in unserer Zeitung mit Vornamen wohl als
Siegfried, niemals jedoch als Edmund zu erkennen gegeben hat. Er
unterzeichnete meist mit Siegfried E. Döring, seinerzeit, da er noch
in der DDR lebte, kürzte er sich sogar als S.E.D. ab, was ihm schließlich
den Zorn der Regierenden und deren Beauftragter einbrachte.
Dass jenes E. für Edmund stand, habe ich mittlerweile aus dem
Melderegister des letzten Wohnortes von Döring erfahren. In einem
Auszug, der mir auf meine Anfrage zugesandt wurde, standen der gesamte
Name, die Adresse und das Sterbedatum: 9. Dezember 2001. Nackte Zahlen
zum Tode eines 54jährigen ehemaligen politischen Häftlings der DDR.
Ich muss gestehen, während ich den Auszug las, störte ich mich
weniger an der Kargheit der Information, als dass ich mich spontan zu
erinnern suchte, was ich am 9. Dezember 2001 gemacht habe. Es fiel mir
nicht ein. Also kehrten meine Gedanken zur Frage zurück: Warum hat
sich Siegfried Edmund Döring umgebracht? Wie hat er sich umgebracht?
Ich griff zum Telefon und rief beim Meldeamt der Kleinstadt an, in der
Döring zuletzt beheimatet war.
Aber ich bekam keine weiteren Informationen. Eine Sache des
Datenschutzes. Aber ich ließ nicht locker, und fragte bei der lokalen
Zeitung nach. Dort erinnerte man sich an den Namen und an seinen
tragischen Tod. Denn dass Siegfried Edmund Döring auf tragische Weise
ums Leben kam, konnte ich kurze Zeit später aufgrund der kurzen
Zeitungsmeldungen vom November / Dezember 2001 erfahren. Indessen
waren die Meldungen nicht so kurz, als dass es mich nicht hätte
schaudern können: Döring hat sich am 20. November 2001 im Garten des
Wohnhauses mit Spiritus überschüttet und angezündet. Obwohl er von
Nachbarn gesehen wurde und man die Flammen mit Decken und einem Feuerlöscher
erstickte, konnte ihm letztlich nicht mehr geholfen werden. Nachdem er
mit dem Rettungshubschrauber nach Zürich gebracht worden war und vorübergehend
noch einmal Hoffnung für sein Überleben bestand, verstarb Döring am
9. Dezember.
Dass Döring in den letzten 19 Tagen seines Lebens furchtbare Qualen
gelitten haben muss, ist unumstritten. Unumstritten aber ist ebenso,
dass er auch in den Wochen, Monaten und Jahren vor diesem Selbstmord
gelitten haben muss. Oder wäre es sonst denkbar, dass er sich auf
diese kaum ertragbare Weise vom Leben in den Tod befördert?
Uns allen, die wir politische Häftlinge in der DDR waren oder
anderweitig unter dem dortigen Regime gelitten haben, ist der Name Brüsewitz
ein Begriff. In den siebziger Jahren verbrannte sich der Pfarrer Oskar
Brüsewitz in einer sächsischen Kleinstadt, um der Welt ein Zeichen
zu setzen und um die Menschenrechtsverletzungen im "Arbeiter- und
Bauernstaat" auf diese Weise anzuprangern. Ganz gewiss wollte
auch Siegfried Edmund Döring ein Zeichen setzen. Nicht umsonst hatte
er einige Monate vor seinem Tod den Versuch zur Gründung eines BrüsewitzKreises
unternommen und dafür in der Freiheitsglocke um Mitglieder geworben.
Dieser Versuch missglückte, es fanden sich kaum Interessierte. Und
man kann konstatieren, dass Dörings Leben im Allgemeinen von missglückten
Aktionen gezeichnet war. In den Jahren, da ich die Redaktion der
Freiheitsglocke habe, suchte er immer wieder den Kontakt zu anderen Häftlingen,
war es sein Bestreben, sich und anderen zu helfen. Jener Kanzelabruf
vor zwei Jahren erfüllte sich ebensowenig wie die Gründung einer
Selbsthilfegruppe. Auch die Absicht, sich 1998 für ein Amt im
Bundesvorstand zur Verfügung zu stellen, erfüllte sich nicht.
Dasselbe trifft auf jene Predigten zu, die er in den neuen Bundesländern
für ehemalige Häftlinge halten wollte.
Döring gab sich in allen Telefongesprächen hilfsbereit, stark und
kontaktfreudig. Nun jedoch stellt sich heraus, dass er selbst hilfsbedürftig
und isoliert war, und dies in hohem Maße. Es gab genügend Ursachen,
die ihn in diesen furchtbaren Selbstmord getrieben haben. Und wenn die
lokale Presse im Südschwarzwald berichtet, Döring habe sich wegen
seiner Eheprobleme umgebracht, so berührt man bestenfalls die Spitze
des Eisbergs. Natürlich ist es wahr, dass sich die Ehefrau von ihm
getrennt hat. Aber die Wahrheit ist auch: Die Ehe war für Döring der
letzte Halt. Er hatte keinen Kontakt zu Mitgliedern der VOS, und er
besaß keine Freunde. Die Gesellschaft hatte ihn ausgesondert, und er
hatte sich von der Gesellschaft ausgesondert.
Döring kam in den achtziger Jahren über den Häftlingsfreikauf als
ehemaliger politischer Gefangener in die Bundesrepublik. Er hatte in
der DDR Theologie studiert und in der Diakonie gearbeitet. Hier, im
Westen jedoch fand er im Kirchendienst keine Anstellung. Es hieß, die
Kirche stelle keine DDRFlüchtlinge ein. Damit war ihm die Rückkehr
in seinen angestammten Beruf grundsätzlich verwehrt. Die Ideale und
Hoffnungen, die er ursprünglich mit seiner christlichen Mission
verbunden hatte, brachen zusammen. Was kann
ein Mensch in dieser Lage tun, wie kann er Fuß fassen? Dörings nächstes Missgeschick war die Entscheidung, sich im
Schwarzwald niederzulassen. Sicher, man kann dort gut Urlaub machen
und befindet sich in einer angenehmen Landschaft. Zur sozialen
Integration jedoch gibt es günstigere Bedingungen.
Wem nun soll man die Schuld am Tod von Siegfried Edmund Döring geben?
Der DDR, der Bundesrepublik? Ein Ja wäre schlicht zu billig, zu
anonym. Die Zeit nach der "Wende" hat zu deutlich bewiesen,
dass das kommunistische System mit all seinen Tätern und Mittätern
bestenfalls in Alibi-Aktionen angeprangert werden kann. Zu fest sitzen
die alten Größen wieder im Sattel, zu lächerlich macht man ihre
Opfer in der Öffentlichkeit, zu schön redet man die Unfreiheit von
einst. Der Kampf um eine Ehrenpension, das Mühen um die Anerkennung
gesundheitlicher Schäden oder das lange Warten auf eine Anpassung der
Haftentschädigung an die Entschädigung für kriminelle Täter haben
bewiesen, welchen Stellenwert wir einstigen politischen Gefangenen der
DDR im vereinten Deutschland noch haben. Wer spricht heute von den
Speziallagern oder den Maueropfern? Welche Reaktionen gibt es, wenn
Namen wie Flade, Smolka oder Brüsewitz fallen? Wer erinnert sich an
DDRÜbersiedler, die in ihrer neuen Heimat nicht zurechtkamen und
ebenfalls verzweifelten?
Siegfried Edmund Döring hat gewusst, dass er in seiner Verzweiflung
nicht ernst genommen wurde. Unsere Gesellschaft kennt zu viele Opfer
des Kommunismus, die zu den Verlierern der Einheit zählen, als dass
der Einzelne in einer Kleinstadt im Schwarzwald auf Unterstützung hätte
hoffen können. Allein die Zahl der Antragsteller bei der Stiftung für
ehemalige politische Häftlinge zeigt die vielen, die am
Existenzminimum leben. Unsere Gesellschaft, namentlich die Politik
unternimmt wenig, um den DDR-Opfern zu helfen, und sie unternimmt gar
nichts, um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Auch dies dürfte
Siegfried Edmund Döring klar gewesen sein. In der Freiheitsglocke ist
auf diese Misere oft genug eingegangen worden. Jene, die ihre Existenz
oder ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um diesem Land zu Freiheit
und Demokratie zu verhelfen, sind vielfach in der Sackgasse gelandet,
unbeachtet und ohne Hoffnung.
Doch der Tod unseres Kameraden Siegfried Edmund Döring sollte uns
nicht nur zu Trauer und Mitgefühl bewegen. Einmal mehr sollten wir
uns auf die Bedeutung und die Möglichkeiten unserer VOS als
Solidargemeinschaft besinnen. Ich will damit nicht sagen, dass die VOS
den Tod von Siegfried Edmund Döring hätte verhindern können oder
dass ausgerechnet sie eine Mitschuld trifft. Nein, dazu fehlen uns
seit langem die Mittel und Wege, um so umfassend und umsichtig auf
jeden Einzelnen eingehen zu können. Doch es ist umso wichtiger, die
Gemeinschaft zu stärken und für die Rechte der noch lebenden Opfer
zu kämpfen und das Andenken aller zu bewahren, die inzwischen von uns
gegangen sind. In diesem Sinne möchte ich im Namen der VOS von
Siegfried Edmund Döring Abschied nehmen und hoffe, dass sein Leben,
aber auch sein Tod nicht umsonst gewesen sind.
Alexander Richter
Im Namen des Bundesvorstand der VOS
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