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Verfolgt, eingesperrt und zwangsverpflichtet
Politische Häftlinge der DDR verklagen die BRD
Blauäugig sei er gewesen, sagt Jürgen Schmidt-Pohl. Er habe geglaubt, es sei möglich, Kritik an der DDR zu üben. Doch sein öffentlich geäußerter Vorwurf, die neue Verfassung von 1968 widerspreche allen freiheitlichen und demokratischen Grundprinzipien, endete im Gefängnis. Heute verklagt Jürgen Schmidt-Pohl die Bundesrepublik Deutschland, die ihn damals freikaufte.
Die Richter in der DDR verurteilten Jürgen Schmidt-Pohl wegen staatsfeindlicher Hetze und Propaganda gegen die sozialistische Ordnung zu zwei Jahren Haft. Er kam in die Strafvollzugsanstalt und musste dort, wie er es nennt, "politische Haftzwangsarbeit" leisten. Wegen der schlechten Bedingungen im Gefängnis baute der junge Mann körperlich immer weiter ab, musste gleichzeitig schwerste körperliche Arbeit verrichten. Zudem war er immer wieder Opfer von gewalttätigen Gefängnisangestellten. Die Folge der Haft und der schlechten medizinischen Versorgung: Jürgen Schmidt-Pohl erblindete auf einem Auge. Amnesty International wurde auf seinen Fall aufmerksam. Und 1975 kaufte die Bundesrepublik ihn frei, so dass er kurz vor Weihnachten aus der DDR ausreisen konnte.
Seelische Zermürbung
Jürgen Schmidt-Pohls Schicksal ist kein Einzelfall. Er selbst schätzt, dass neben ihm noch rund 120 000 SED-Opfer Anspruch auf Entschädigung haben. Während ihrer Haftzeit wurden sie in den unterschiedlichsten Betrieben eingesetzt: Als Zerspaner im Armaturenwerk Magdeburg, als Stahlblechtrenner im Eisenhüttenwerk Thale oder an der Salzsäurebeize als Einpacker. Ohne Schutzkleidung kamen Häftlinge in Berührung mit Asbest und Blei. Solche Arbeiten belasteten die Menschen körperlich erheblich, schädigten sie sogar. Wer sich weigerte, kam in Isolationshaft.
Neben den physischen Belastungen und Folgen, die die politisch Inhaftierten der DDR davontrugen, leiden viele noch heute psychisch unter den Erinnerungen an diese Zeit. Stundenlange Verhöre, angebliche belastende Aussagen des Ehepartners oder Drohungen, die Kinder würden der Familie weggenommen - Strategien der Staatssicherheit, um die Häftlinge zu zermürben. 220 von ihnen meldeten sich bei Jürgen Schmidt-Pohl, der eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland anstrebt.
Suche nach der Lobby
Jürgen Schmidt-Pohl
Dass er heute den Staat verklagt, der ihn damals freikaufte, stößt bei vielen zunächst auf Unverständnis. Doch die Argumentation von Schmidt-Pohl ist einleuchtend. Die Bundesrepublik habe nach der Wiedervereinigung das Vermögen der DDR übernommen und in das eigene Vermögen einverleibt. Demnach muss sie, so Schmidt-Pohl, auch entschädigungspflichtig gegenüber denen sein, die einen Teil des Vermögens unter Zwangsbedingungen erwirtschaftet haben.
Der Politologe gründete die "Vereinigung politisch Verfolgter und Widerständler der SBZ/SED-Diktatur", kurz VpV. Die Vereinigung wollte zunächst Interesse und Aufmerksamkeit für die Schicksale der SED-Opfer wecken. Fünf Jahre lang konfrontierte sie Politiker aller Parteien mit den einzelnen Lebens- und Leidensgeschichten. Vergebens, sagen die Mitglieder. Entschädigungsangebote von staatlicher Seite gab es keine. Auch die PDS reagierte nicht, von der die VpV mehr als nur Anerkennung und Aufmerksamkeit forderte. Das aus der Diktatur der DDR hervorgebrachte Vermögen der PDS, so Schmidt-Pohl, solle die Partei an die Opfer des Regimes weitergeben. Das sei eine politische und moralische Verpflichtung.
Das öffentliche Interesse am Thema ist trotz aller Bemühungen noch gering. Dabei werden es immer mehr ehemalige Häftlinge, die sich bei Jürgen Schmidt-Pohl melden. Einige reden das erste Mal über das Erlebte, andere wollen gar nicht in die Öffentlichkeit treten, unterstützen die Vereinigung aber finanziell. Geld wird die VpV in den nächsten Jahren sicherlich brauchen. Ein Musterprozess mit vier Hauptklägern beim Landgericht Brandenburg wird vorbereitet, der vermutlich noch diesen Sommer eröffnet wird.
Schweriner Tagung - Nur wenige Zeugnisse
Anfang Mai trafen sich zum ersten Mal 50 ehemalige Häftlinge in Schwerin, um ihre Forderungen zu formulieren. Herausgekommen ist eine Erklärung, in der eine angemessene "Würdigung und Genugtuung für den Einsatz um die Einheit Deutschlands" verlangt wird. Dies soll über die Verabschiedung eines neuen SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes erfolgen. Gewinnt die Vereinigung vor Gericht, würde beispielsweise die Haftentschädigung von 307 Euro pro Haftmonat auf 511 Euro angehoben. Wer mindestens ein Jahr lang wegen politischen Widerstandes inhaftiert war, der soll zusätzlich eine Ehrenpension von über 700 Euro erhalten. Nachkommen von verstorbenen politischen Inhaftierten hätten ein Erbrecht auf diese Zahlungen.
Unterstützung für ihr Vorhaben bekommen die Kläger von dem Münchner Anwalt Michael Witti, der bereits im NS-Zwangsarbeiter-Prozess auftrat. Die Strategie dieses Verfahrens gilt als Vorlage für den anstehenden Prozess. Dementsprechend kündigte Jürgen Schmidt-Pohl schon vor Verhandlungsbeginn an, dass im Falle einer gerichtlichen Niederlage, in den USA Klagen eingereicht werden. Eine Trumpfkarte, nennt es der Vorsitzende selbst. Klagen dieser Art seien in den Staaten zum einen wesentlich erfolgsversprechender, zum anderen würde mit höheren Summen gehandelt. Doch bevor man nach Amerika ausweicht, wollen Jürgen Schmidt-Pohl und die VpV hier alle juristischen Wege gehen. Wenn es sein muss, ziehen sie auch vor den Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte.
(Pressetext des ZDF Länderspiegel zur am 18.05.2002 ausgestrahlten
Reportage)
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