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Aufarbeitung von MfS- Unrecht

 

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Gesetzesentwurf

Bürgerkomitee Leipzig e.V.
für die Auflösung der ehemaligen
Staatssicherheit (MfS)
Dittrichring 24
Postfach 100345
D-04003 Leipzig
Telefon: 0341/9612443
Fax: 0341/9612499

e-mail: mail@runde-ecke-leipzig.de
Internet:
www.runde-ecke-leipzig.de



Leipzig, den 07.01.2002

Betr.: Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) und Forschungs- sowie Pressefreiheit hier: Novellierung des StUG

Sehr geehrte Damen und Herren,

zehn Jahre nach Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) stellten Sprecher aller Fraktionen am 8. November 2001 im Bundestag fest: Die Praxis der Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit hat sich bewährt. Dennoch ist in den vergangenen Monaten in Politik und Gesellschaft eine intensive Debatte um die Zukunft des StUG geführt worden. In der Diskussion waren insbesondere die §§ 14 (Anonymisierung) und 32-34 (Herausgabe von Akten zu Personen der Zeitgeschichte sowie Amtsträgern und Funktionsinhabern für Forschung und Medien). Das Bürgerkomitee befürchtet vor diesem Hintergrund ebenso wie andere Initiativen, Politiker und Wissenschaftler eine massive Einschränkung der Aufarbeitung, falls der Gesetzgeber nicht nachdrücklich seinen Willen zur Offenlegung der diktatorischen Strukturen der DDR bekräftigt. 

Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin vom 04.07.2001, dass die Akten Helmut Kohls nicht für die Forschung herausgegeben werden dürfen, erreichte die Diskussion eine neue Qualität: Das Gericht erklärte die bisherige Herausgabepraxis der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) in Bezug auf Forschungs- und Medienanträge für unrechtmäßig. Es betonte in

seiner Urteilsbegründung jedoch auch ausdrücklich, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit habe, die bisherige Praxis durch eine Novellierung des StUG rechtlich abzusichern. Marianne Birthler bat daraufhin den Deutschen Bundestag, das Stasi-Unterlagen-Gesetz als 2. Aufarbeitungsgesetz zu erhalten und dafür gegebenenfalls zu novellieren. Anlässlich der Übergabe des 5. Tätigkeitsberichts der BStU im Bundestag signalisierten die Abgeordneten Bereitschaft, über den Novellierungsbedarf nachzudenken. 

Auch der Innenminister Otto Schily erklärte am 8. November vor dem Parlament, dass im Rahmen einer Anhörung der Novellierungsbedarf geprüft werden solle. Das Bürgerkomitee hält eine Novellierung des Stasi-Unterlagen- Gesetzes für unerlässlich, die missverständliche Formulierungen ausräumt und somit Aufarbeitung dauerhaft garantiert. Ziel ist dabei im wesentlichen die rechtliche Absicherung der bisherigen, auf einem breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens beruhende Arbeitspraxis der BStU. Um der Forderung nach Novellierung Nachdruck zu verleihen, bitten wir Sie um Ihre Unterstützung. Nur wenn eine breite Gruppe von Politikern, Wissenschaftlern, Journalisten, Archivaren, Juristen und Aufarbeitungsinitiativen sich klar zu den offenen Akten bekennt und deren fachliche Notwendigkeit diskutiert, können die Novellierungsbemühungen erfolgreich sein. In der Anlage übergeben wir Ihnen einen konkreten Vorschlag für die Novellierung des StUG, erarbeitet vom Bürgerkomitee Leipzig e.V. unter Federführung von Johannes Beleites. 

Wir bitten Sie, sich mit diesem Entwurf eingehend auseinanderzusetzen. Als Bürgerkomitee waren wir vom ersten Tag nach der Besetzung der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Leipzig und auch darüber hinaus damit beschäftigt, das MfS aufzulösen und die Aktenhinterlassenschaft zu sichern. Wir haben uns an der Diskussion über das StUG bis zu dessen Verabschiedung intensiv beteiligt und konnten unser Fachwissen umfangreich in das

Gesetzgebungsverfahren einbringen. Bis heute verfolgt das Bürgerkomitee die Diskussion um das StUG und hat mehrmals auf Forderungen nach Aktenvernichtung, Schließung der Archive oder Einschränkung der Akteneinsichtsmöglichkeiten reagiert. So wandte es sich im Oktober 1998 gegen die Anonymisierung von Originalakten, die laut §14 StUG zum Jahresbeginn 1999 wirksam werden sollte. Im Ergebnis wurde das Inkrafttreten des genannten Paragraphen um fünf Jahre verschoben.

Im Innenausschuss bestand Einvernehmen darüber, dass die gewonnene Zeit genutzt werden müsse, um die Auswirkungen dieser Regel " einer ausführlichen Prüfung zu unterziehen" . Im Mai 2001 kritisierte das Bürgerkomitee die neue Arbeitsrichtlinie der BStU, die die Herausgabe von Akten zu Personen der Zeitgeschichte sowie Amtsträgern und Funktionsinhabern wesentlich verkomplizierte. Wenige Wochen später stellte das so genannte " Kohl-Urteil" die bisherige Arbeitsweise der Behörde in diesem Punkt gänzlich infrage. Novellierungsbedarf sieht das Bürgerkomitee daher vor allem in vier Punkten:

1. Streichung der Datenvernichtungsvorschrift des §14
§ 14 StUG sieht vor, dass ab 01.01.2003 Personen, die nicht Mitarbeiter des MfS waren, alle sie betreffenden Akten im Original schwärzen lassen könnten. Dies käme nach unserer Meinung einer Aktenvernichtung von unten aus falsch verstandenem Datenschutz gleich und wäre ein in der deutschen Rechts- und Archivgeschichte bisher nie dagewesener Vorgang. Neben den sehr stark betroffenen Interessen der Forscher und Archivare würden durch die Anonymisierung auch die Rechte

anderer Personen auf Einsicht in ihre Unterlagen eingeschänkt, da die Akten immer Informationen zu mehreren Personen enthalten. §14 könnte unter anderem dazu führen, dass die Opfer der DDR-Diktatur in Beweisnot geraten, weil ehemalige Amtsträger und Funktionsinhaber die Unterlagen, die über ihre

Tätigkeit im Auftrag des SED-Regimes berichten, vernichten assen können. Deshalb kommt auch das Bürgerkomitee, das sich zuerst den Interessen der Opfer verpflichtet fühlt, nicht umhin, die ersatzlose Streichung von §14 zu fordern.

 

2. Präzisierung des §32 
Zehn Jahre lang hat die BStU auf Grundlage von §32 des StUG Akten zu Personen der Zeitgeschichte sowie Amtsträgern und Funktionsinhabern an Forscher herausgegeben. Im Juli 2001 stellte das Verwaltungsgericht Berlin diese Arbeitspraxis mit seinem " Kohl-Urteil" in Frage. Nach Meinung des Bürgerkomitees entsprachen die bisherigen Einsichtsmöglichkeiten jedoch in vollem Umfang den Intentionen des StUG und widersprachen in keiner Weise den bundesdeutschen Archiv- und Datenschutzgesetzen. In §32 müssen deshalb missverständliche Formulierungen ausgeräumt werden, damit einstige Systemträger - vom Gefängnisleiter über den SEDBezirkssekretär bis zum DDR-Staatschef - künftig nicht selbst entscheiden dürfen, ob ihr Funktionieren in der Diktatur bis hin zu begangenem Unrecht je publik wird. Auch Inhaber anderer öffentlicher Ämter oder Funktionen können für ihr staatliches Handeln nicht den Schutz des Grundgesetzes in Anspruch nehmen. Personen der Zeitgeschichte müssen - da sie sich bewusst in die Öffentlichkeit stellten - es tolerieren, dass ihr einstiges

Wirken heute öffentliches Interesse findet. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte ist im übrigen durch eine Schutzklausel im §32 ausreichend gesichert.


3. Einführung eines Privilegs für Forschungseinrichtungen 
Das Bürgerkomitee plädiert für die Einführung eines Forschungsprivilegs auch für behördenexterne wissenschaftliche Institutionen. Als Vorlage für diese, als §32a neu in das StUG einzufügende Regelung dient §476 der Strafprozessordnung, der seit August 2000 die wissenschaftliche Auswertung selbst von Akten aus laufenden Strafverfahren ermöglicht. Bisher können ausschließlich Mitarbeiter der BStU - Forschungsabteilung die MfS-Akten in nicht anonymisierter Form einsehen und dadurch wesentlich exaktere Ergebnisse erzielen als behördenexterne Wissenschaftler mit bereits geschwärzten Unterlagen.

4.Streichung der Zweckbindung

Die im §32f. formulierte Zweckbestimmung muss unseres Erachtens wegfallen beziehungsweise erweitert werden. Schließlich sollte man im Gleichklang mit der aufklärerischen Intention des Stasi- Unterlagen-Gesetzes die zulässigen Fragen an das Archivmaterial nicht im Voraus gesetzlich beschränken. Eine solche Eingrenzung des Forschungsinteresses steht im Widerspruch zur

Wissenschaftsfreiheit und ist weder sinnvoll noch nötig. Auch bisher wurde diese Zweckbindung eher großzügig gehandhabt und es ist dadurch kein Schaden, sondern vielmehr eine breite, wissenschaftlich fundierte Literatur zur DDR- Geschichte entstanden. Darüber hinaus wurden die Akten inzwischen

erfolgreich zur Aufklärung von Vorgängen verwendet, die die MfS-Tätigkeit nicht unmittelbar berühren. Jüngstes Beispiel dafür ist das " La Belle" -Verfahren vor dem Berliner Landgericht.

 

Über die vier beschriebenen Punkte hinaus werden mit beiliegendem Novellierungsvorschlag an einigen Stellen des StUG geringfügige Änderungen angeregt, die sich vor allem aus der zehnjährigen Behördenpraxis ergeben haben. Die Gesetzesänderung sollte nach Ansicht des Bürgerkomitees ein

erster Schritt auf dem Weg hin zu einem normalen Archivumgang mit

den MfS-Akten für die institutionalisierte Forschung sein. Auch künftig muss das Stasi-Unterlagen-Gesetz einen sachgerechten Ausgleich zwischen den Grundrechten auf Datenschutz und Informationsfreiheit garantieren. Vor allem sollte Kritikern der derzeitigen Aufarbeitungspraxis deutlich sein, dass es sich beim StUG nicht um ein dem bundesdeutschen Recht fremdes "Revolutionsrecht" , sondern um ein sehr zeitgemäßes Gesetz handelt, das Elemente aus dem Datenschutz- und Archivrecht sowie aus dem noch jungen Feld der Informationsfreiheits- und Akteneinsichtsgesetze miteinander vereint.

Ihr persönliches Engagement und Fachwissen sind nun gefragt, um die bisher einmaligen Zugangsmöglichkeiten zum Herrschaftswissen einer Diktatur zu erhalten. Das StUG muss auch weiterhin ein Gesetz der Aufarbeitung bleiben. Deshalb ist umgehend eine breit angelegte Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestages nötig, um das anstehende Problem sachgerecht zu lösen. 

Wir bitten Sie daher, sich persönlich und öffentlich für eine Novellierung

des StUG einzusetzen und uns möglichst Ihre Ansicht zu dem vorgetragenen Problem zu übermitteln. Die Reaktionen, die uns bezüglich unserer Schreiben zu §14 und zur BStU-Richtlinie errreichten waren uns für unsere politische Arbeit sehr hilfreich. Den Novellierungsvorschlag sowie die angesprochenen Texte zur

Richtlinie und zu §14 finden Sie auch auf unserer Homepage unter

www.runde-ecke-leipzig.de.

In Erwartung Ihrer Reaktion verbleiben wir mit freundlichen Grüßen

für den Vorstand

Dr. Konrad Taut

 

Anlage:  Vorschlag des Bürgerkomitee Leipzig e.V. zur

Novellierung des StUG

 

 

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