STASIOPFER
Aufarbeitung von MfS- Unrecht

 

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Stasi-Opfer des MfS der DDR


Stefan Trobitsch-Lütge
Stefan Trobisch-Lütge
seit 1998 Leiter der Beratungsstelle für politisch Traumatisierte der DDR-Diktatur „gegenwind“ in Berlin. Fachartikel veröffentlicht in: "Evangelische Verantwortung", G 5931,  11/2002


„Uns wirst Du niemals los“ Stasiopfer zwischen Schlussstrich-mentalität und unverarbeitetem Trauma 


1. Wahrnehmung
Wahrnehmen, was war:

Frau B.: Mein Schwiegervater war Offizier in der NVA, hat sich losgesagt, man wollte ein Exempel statuieren... Sippenhaft, 1986 auf der Straße verhaftet, Vorwurf: „landesverräterische Agententätigkeit“, 8 Monate Stasihaft, von der einjährigen Tochter nichts mehr gehört: „Mir wurde nicht
gesagt, was sie mit meiner Kleinen gemacht haben.“ Dann Verlegung nach H., „unter Mörderinnen und Kriminellen, die hatten uns Politische völlig in der Hand.“ Die „Erzieherinnen“ sagten: „Wenn Krieg wäre, würden wir euch an die Wand stellen.“ Eine Kette von Erniedrigungen und Misshandlungen, endlose Verhöre, Schlafentzug, die Schreie anderer Gefangener, dann wieder Stille, das Brüllen einer Nummer: Raustreten, Gesicht zur Wand! Und das Schlimmste: Nie zu wissen, was passieren wird.


Wahrnehmen, was ist:

Frau B. 16 Jahre später: Symptomatik Verfolgungszustände, Schlaf-störungen, Albträume, Angstzustände, Übererregbarkeit, Herzbeschwerden, Atemnot. Ihre Arbeitsstelle sei in den Osten verlegt, jede S-Bahn-Fahrt ein Martyrium. Angst, einen Vernehmer zu treffen. Jede Erinnerung an die DDR-Zeit eine Qual. Stigmatisierung: Frau B. erträgt es nicht, wenn Kollegen DDR-Zeiten nachtrauern, „früher war es doch besser.“ Sie schaltet ab, geht weg. Isolierung. Einer ihrer Vernehmer hatte ihr gesagt: „Uns wirst du niemals los.“


Wahrnehmen, was geschieht:

Es finde eine Verhöhnung der Opfer statt. Herr K. klagt an: Nach fast 20 Jahren, die zwischen seiner Inhaftierung in der damaligen DDR und heutigen Begutachtungen im Rahmen von Entschädigungsleistungen nach dem 21 StrRehaG lägen, leide er noch immer an den Folgen seiner Inhaftierung und Einweisung in eine Psychiatrie. Er habe mit Panikattacken, Bluthochdruck, Albträumen, Depressionen und verminderter Leistungsfähigkeit zu kämpfen. Trotz einer lückenlosen Dokumentation der Haftzeit im Stasigefängnis in D. und ärztlicher Befunde der sich daraus ergebenden schweren psychischen Symptome sehe er sich heute einem demütigenden Begutachtungs-verfahren gegenüber, in dem Einschätzungen von Mitarbeitern der Staatssicherheit eher Glauben geschenkt werde, als seinen eigenen Erklärungen. Dabei genüge es laut Gesetz nachzuweisen, dass die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Freiheitsentziehung und daraus resultierender gesundheitlicher Schädigung gegeben sein müsse, um einen Anspruch auf Entschädigungsleistungen zu haben.


2. Das Ausmaß der Schädigung

Die Menschen, die sich in der Beratungsstelle „Gegenwind“ für politisch Traumatisierte der DDR-Diktatur melden, schildern Erlebnisse aus ihrer Inhaftierungs- und Verfolgungszeit in der ehemaligen DDR, die von Gefühlen der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins beherrscht waren. Die Betroffenen wirken in ihrem Selbst- und Fremderleben dauerhaft erschüttert. Das Ausmaß der geschilderten seelischen Zerstörung zeigt große Ähnlichkeit mit den psychischen Folgen, die bei Delikten im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch und Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu beobachten sind. Dabei hat sich insbesondere der Eindruck der zielgerichteten und bewusst gesteuerten Angriffe auf ihre Integrität tief in die Seele dieser Menschen eingegraben. Das Gefühl, noch heute schutzlos ausgeliefert zu sein, zeigt sich nicht nur bei Menschen, die inhaftiert waren. Sehr verbreitet ist das Wegbrechen von haltgebenden psychischen Strukturen in Zusammenhang mit der Erkenntnis, missbraucht, hintergangen und bespitzelt worden zu sein.

Bezeichnenderweise wurden von der Staatssicherheit bei Observierung oftmals Personen aus dem näheren Umfeld „aktiviert“, so dass für die Betroffenen mit Einsicht ihrer „Gauck-Akten“ die kaum zu verkraftende Entdeckung gemacht werden musste, von einem nahen Angehörigen jahrelang überwacht und ausspioniert worden zu sein.

Das Gefühl von Gerechtigkeit und Menschlichkeit ist verloren gegangen, vielmehr stehen viele der Unfassbarkeit menschlicher Korrumpierbarkeit und Destruktivität gegenüber. Dabei scheint besonders das Vertrauen in die Berechenbarkeit menschlichen Handelns zutiefst erschüttert. Doch gerade Berechenbarkeit ist die Grundlage für den Aufbau von Vertrauen. Durch das gezielte Wegschlagen von Bewältigungsmöglichkeiten wurde ein Höchstmaß an Instabilität der psychischen Selbstregulierung erreicht und damit die Selbstschutzfunktionen in einer Art permanente Alarmbereitschaft versetzt. In Folge entstandene dauerhafte Deformationen der Selbstorganisation sind ernsthafte Veränderungen der Persönlichkeit, wie Abspaltungsprozesse, Isolierung von Empfindungen, selbstzerstörerischer Umgang, sowie große Verunsicherungen in Bezug auf die Einschätzung der inneren und äußeren Realität.

Dabei fällt auf, dass viele Betroffene einen Zusammenhang zwischen ihrer eigenen desolaten Befindlichkeit und dem ihnen von außen entgegenschlagenden Klima empfinden.

Den von politischer Willkür in der ehemaligen DDR betroffenen Menschen ist die Fähigkeit, das was ihnen passiert ist einordnen zu können verloren gegangen. Die öffentlichen Diskurse sind bestimmt vom „empathischen“ Umgang mit den Verantwortlichen der DDR-Diktatur. Dies bleibt den Seismographen der jüngeren deutsch-deutschen Geschichte nicht verborgen. Neben den großen Problemen bei der Anerkennung ihrer Haftschäden, sowie einer Gewährung von „psychischer Erstversorgung“, die nach unseren Erfahrungen einer klassischen psychotherapeutischen Hilfe vorgeschaltet sein muss, beklagen viele der Betroffenen, dass Schutzmaßnahmen in der gesellschaftlichen Realität des wiedervereinigten Deutschland fehlen. Es gebe keine Würdigung der Opfer, die Folgen des totalitären DDR-Systems hätten keinen Platz in den Köpfen der derzeitigen Entscheidungsträger, man wolle das Ausmaß an psychischer Verelendung nicht wahrhaben.

3. Zur Behandlungsweise


In Zeiten knapper Kassen werden Stimmen lauter die sagen, man müsse nun endlich einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit ziehen. Dabei werden in besonderem Maße diejenigen Menschen vergessen, die neben einem Systemwechsel von einem totalitären Staat hin zu einer Demokratie zusätzlich die Wunden von Verurteilung und Verfolgung und Zersetzungsmaßnahmen in einem Land voller Repressalien gegen Andersdenkende zu verarbeiten haben. Oftmals traf es ja gerade die Menschen, die sich den systemimmanenten Ungerechtigkeiten in der ehemaligen DDR widersetzten und dafür ein hohes Maß an Leiden und Verunsicherung in Kauf nahmen.

Diese Erkenntnisse sind unerlässlich bei der Konstruktion eines weitgewebten Behandlungsansatzes. Wir mussten die Erfahrung machen, dass die Menschen, die uns aufsuchen, ein gewaltiges Misstrauenspotential in sich tragen. Übermächtig erscheint vielen der Einfluss des Klimas, in dem sie gelebt haben, ein Klima des Misstrauens, des Verratenwerdens, der Ungerechtigkeit, der Willkür. Wohlwollende Hilfsbereitschaft wird leicht umgedeutet in aushorchen, bespitzeln, benachteiligen, entmachten.

Auch wir mussten immer wieder mit Misstrauen, mit Flucht, mit Abbrüchen der zart geknüpften Beziehungen kämpfen. Eine große Herausforderung an die Professionalität des Helfenden ist, dem permanenten Misstrauensdruck der Betroffenen standzuhalten, den immer wiederkehrenden Versuchen der Opfer zu widerstehen, ihr Gegenüber zum Täter zu machen. Das ganze Ausmaß der Destruktivität der menschlichen Beziehungen in der ehemaligen DDR schlägt uns bis heute entgegen. Wie die Fahrt des Odysseus zwischen den Meeresungeheuern Skylla und Charybdis erscheint das Lancieren zwischen einem zu vorsichtigen Verstehen und einer schnell entstehenden Überversorglichkeit mit dirigistischem Eingreifen. Beides würde die Betroffenen weiter isolieren.

Mit dem Begriff und dem Setting der klassischen Psychotherapie, sei es eine tiefenpsychologisch-fundierte Behandlung, eine Psychoanalyse oder eine Verhaltenstherapie können die meisten Betroffenen zunächst nichts anfangen. Sie empfinden es als zusätzliche Stigmatisierung, nach Verfolgung und Demütigungen nun auch noch als psychisch krank etikettiert zu werden.

Die Kompliziertheit der Situation entsteht nun dadurch, dass trotz eindeutiger psychischer Erkrankungen oft keine Krankheitseinsicht bei gleichzeitigem immensem Leidensdruck besteht. Mit dem Vorgehen eines vorsichtigen Andockens an einen Pool von Hilfsmöglichkeiten konnten in überzeugender Weise Vorbereitungen für die Annahmefähigkeit auch psychotherapeutischer Hilfen erreicht werden. Dabei war  die niederschwellige Zugangsmöglichkeit, die eine Kontakt- und Beratungsstelle bietet, als eindeutiger Vorteil zu werten.


4. Grundsätze für eine weitere Arbeit


Grundlage der von unserer Beratungsstelle übernommenen Betreuung und Behandlung von traumatisierten Menschen aus der ehemaligen DDR ist die Gewährleistung von Kontinuität in der Behandlung. Ohne die Einlösung der zugesicherten finanziellen Ausstattung ist eine verantwortungsvolle Arbeit mit den Betroffenen nicht mehr leistbar, muss sogar aus fachlichen und moralischen Gründen abgelehnt werden, da falsche Versprechungen kontraindiziert sind für Menschen, bei denen die Grundlage für ein neues Vertrauen mühsam wieder aufgebaut werden muss. Um der Gefahr einer Revictimisierung vorzubeugen ist gerade der Faktor Glaubwürdigkeit von großer Bedeutung. Nicht selten schlägt den Opfern der Vorwurf der Übertreibung entgegen. Auf den Versorgungsämtern mussten viele bei ihren Antragstellung auf Anerkennung von Haftfolgeschäden die Erfahrung machen, dass ihnen nicht geglaubt wird, sie zu Almosenempfängern degradiert werden und sie als Simulanten hingestellt werden.

Die gutachterliche Praxis der Versorgungsämter zeigt jedoch in vielen Fällen, dass sogar Grundkenntnisse der zu begutachtenden Störungen nach dem PTSD (Post Traumatic Stress Disorder) nicht vorhanden sind. Dies ist umso verhängnisvoller, als der Kontakt zu dem beschriebenen Personenkreis hoch sensibel ist und die Gefahr in sich birgt, bei verantwortungslosem Umgang Prozesse eines Opfer-Täter-Verhältnisses zu reaktualisieren.

Natürlich spielen auch Übertreibungen eine Rolle, paranoide Anteile müssen auf ihren realen Kern untersucht werden, was häufig sehr schwierig, wenn nicht unmöglich ist. Dabei spielt die konsequent auf Zersetzung eingestellte Taktik der ehemaligen Staatssicherheit eine bedeutende Rolle für das Fortbestehen eines paranoiden Klimas, welches die politisch Traumatisierten weiter  stark belastet und eine maßgebliche Störung der Verarbeitung ihrer traumatischen Erfahrungen bedeutet.

Unter dem Begriff der Schlussstrichmentalität verstehen viele der Betroffenen eine aus den Fugen geratene Verhältnismäßigkeit. Höhere Rentenbezüge ehemaliger Mitarbeiter der Staatsicherheit, eigene karge Renten, die Folgen von beruflicher Benachteiligung machen den Menschen schwer zu schaffen. Viele der Betroffenen fühlen sich verhöhnt und sind empört darüber, dass die Verantwortlichen für systematisch ausgeübtes Unrecht besser behandelt werden als sie selbst. Darüber hinaus fühlen sich aber auch viele entehrt und um ihre Würde gebracht. Eine allgegenwärtige Angst, selbst schwach, ohnmächtig, Ausgestoßener zu sein begegnet den Opfern von politischer Verfolgung der ehemaligen DDR im wiedervereinigten Deutschland häufig. Fast scheint es so, als setze ihre Opferrolle in anderen diese Ängste frei. Die Angst vor dem eigenen Abstieg schafft die Distanz den politisch Traumatisierten gegenüber, eine Auseinandersetzung mit den Opfern bedeutet Bedrohung des eigenen Seelenfriedens. Die einsetzenden psychischen Abwehrprozesse der Verdrängung, Verleugnung, Verharmlosung, die voyeuristische Faszination bei „Teilnahme an der Macht“ verhindern, sich mit den eigenen Ängsten auseinander zu setzen.

Jedes Misslingen kann eben auch Beschämung bedeuten. Mangelnde Leistungsfähigkeit, mangelndes Durchsetzungsvermögen verschaffen das unerträgliche Gefühl von Schwäche, das abgewehrt werden muss. Gefühle der eigenen Unterlegenheit bzw. Minderwertigkeit werden auf die „Opfer“ projiziert. Die bislang noch kaum erfolgte Würdigung der Opfer der DDR-Diktatur sowie die rechtliche und medizinisch-psychologisch Anerkennung der Schädigungsfolgen erfordert eine über die Beratungstätigkeit weit hinaus reichende Aufklärung der Öffentlichkeit. Im Sinne einer zu vermeidenden Revictimisierung der Opfer muss eine den Opfern gerecht werdende Analyse der Folgeschäden und ihrer Konsequenzen in Beratung, Therapie und Begutachtung erarbeitet werden.

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