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Aufarbeitung von MfS- Unrecht

 

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Transparent gegen Stasi und SED zur Wende der DDR

Rede vor dem Bundestag zum Stasiunterlagengesetz



Die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen Marianne Birthler
spricht zur Anhörung zum StUG

"Es kommt nicht oft vor, daß die Hoffnungen, die mit einem neuen Gesetz verbunden sind, nicht nur erfüllt, sondern weit übertroffen werden. Beim Stasi-Unterlagen-Gesetz war das der Fall. Fast 5 Mio. Anträge und Ersuchen sind im Laufe der Jahre eingegangen, Hunderttausende Menschen haben Einsicht in ihre Akten genommen. Die Zahl von Anträgen aus dem Bereich der Wissenschaft, der Publizistik und der Medien beläuft sich inzwischen auf weit über 15.000. Mehr als zweitausend Publikationen sind unter Verwendung von MfS - Unterlagen entstanden. Die bisherige Praxis der Behörde ist in der öffentlichen Debatte, im politischen Raum und auch auf der gerichtlichen Ebene auf breite Zustimmung gestoßen. Der Deutsche Bundestag hat fünf Tätigkeitsberichte mit Zustimmung zur Kenntnis genommen. 

Die politische Kultur in Deutschland braucht auch weiterhin die kritische Debatte über das System der SED-Diktatur, über die Strukturen in der DDR und insbesondere die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes als "Schild und Schwert der Partei". 

Mit fortschreitender Historisierung der DDR-Geschichte wird das kollektive Gedächtnis geprägt, entscheidet sich, auf welche politischen Traditionen sich die Gesellschaft gründen möchte. Der Streit darüber, welches Bild wir für unsere Kindeskinder von der DDR zeichnen, ist noch nicht entschieden. Worauf werden wir einst mit Stolz und Genugtuung verweisen? Auf 40 Jahre Ruhe und Ordnung oder auf die demokratische Revolution von 1989? Auf Margot Honeckers Schulen oder auf jene Schüler und Lehrer, die sich mutig weigerten, mit dem MfS zusammenzuarbeiten? Auf den Palast der Republik oder darauf, daß wir die Akten des MfS vor der Vernichtung bewahrt haben? In den vergangenen Tagen sah ich mich gelegentlich mit dem Vorwurf konfrontiert, die Folgen des Urteils zu überzeichnen. 

Könnte dies nicht sogar jene ermutigen, die die Akten schon lange dicht machen wollen? Damit werden die Dinge auf den Kopf gestellt, meine Damen und Herren. Es ist ja gerade die Rechtslage nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, die in bestimmten Kreisen die Hoffnung auf den lang ersehnten Schlußstrich weckt. Vom Vorwurf, die Stasiakten würden den sozialen Frieden stören, ist es nur ein kleiner Schritt bis dahin, die Schließung der Akten als Vollendung der inneren Einheit zu preisen. Anzeichen für eine solche Koalition der Unvernunft gibt es bereits. Was hier not tut, meine Damen und Herren, ist ein deutliches Signal des Gesetzgebers, ist die Koalition der Vernunft – auch wenn ich einräume, daß Zeiten des Wahlkampfs dafür nicht eben die günstigsten sind. 

Wir brauchen die MfS- Unterlagen auch weiterhin für die Aufarbeitung - ggf. auch ohne die Einwilligung ehemaliger Parteifunktionäre der SED oder von mir aus auch der DKP. Und was ich als Bundesbeauftragte dazu tun konnte, der Öffentlichkeit und dem Bundestag den Ernst der Lage klar zu machen, habe ich getan. "Überzeichnen" war dabei nun wirklich nicht nötig, die Lage ist der Sache nach dramatisch genug. Im übrigen konnte bei Nachfrage der Vorwurf nicht mit einem einzigen konkreten Beispiel belegt werden. Worum ging es in diesem Rechtsstreit? Nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz dürfen Informationen über Betroffene und Dritte nur mit schriftlicher Einwilligung zugänglich gemacht werden. Aber Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen und Amtsträger in Ausübung ihres Amtes sind vom Gesetzgeber gesondert benannt worden, um für sie ein anderes Verfahren zu ermöglichen. 

Auch Archivgesetzgebung und Rechtsprechung nehmen bei diesem Personenkreis eine andere Rechtsgüterabwägung vor als bei "Normalbürgern". Dies war auch die Praxis meiner Behörde über zehn Jahre - freilich sind auch hier die Unterlagen nur nach ziemlich restriktiven Regeln herausgegeben worden: Zum einen hat der Schutz der Opfer des MfS für die Arbeit meiner Behörde einen außerordentlich hohen Stellenwert. So hat es im Zusammenhang mit der Herausgabe von Unterlagen an Forschung und Medien seit Bestehen der Behörde lediglich in zwei Fällen gerichtliche Auseinandersetzungen gegeben. 

Ich betone das, weil hier und da der Eindruck entstanden ist, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hätte einem unerträglichen Missbrauch von Unterlagen abgeholfen. Zweitens prüfen wir vor jeder Herausgabe von Unterlagen, ob die darin enthaltenen Informationen tatsächlich zur Aufarbeitung der Stasi-Tätigkeit beitragen sollen und können. Drittens spielt bei der Abwägung im Einzelfall eine Rolle, ob die einzelnen Informationen erforderlich sind, wie schwer der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht war und welche Nachteile der betreffenden Person durch die Herausgabe entstehen könnten. Seit einem Jahr haben Betroffene außerdem Gelegenheit, sich davon zu überzeugen, daß ihre Interessen hinreichend gewahrt wurden: Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger wurden bei relevanten Informationen vorab über die beabsichtigte Herausgabe informiert. 

Seit dem 8. März dürfen nun Unterlagen über Personen der Zeitgeschichte, Amts- und Funktionsträgern nur noch mit deren schriftlicher Einwilligung verwendet werden. Das hat schwerwiegende Folgen für die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Betroffen sind wichtige Themenfelder wie die politische Justiz, das "politisch-operative Zusammenwirken" der Stasi mit anderen Institutionen, Opposition und Widerstand in der DDR, innerdeutsche Beziehungen, Gewalttaten an der innerdeutschen Grenze, Doping sowie das Interesse des MfS an Rechtsextremismus und Terrorismus in der Bundesrepublik. Die Folgen des Urteils betreffen auch Informationen im Internet und Publikationen. 

Knapp 20 von 44 lieferbaren Titeln der Behörde werden zur Zeit nicht vertrieben. In einigen Fällen werden wir nachträglich Einwilligungserklärungen einholen können, in anderen jedoch nicht, weil die Betroffenen verstorben sind, weil von Funktionären aus dem Parteiapparat eine Einwilligung nicht zu erwarten ist oder weil von manchen Personen die Adresse nicht zu ermitteln ist. Meine Damen und Herren, die Suche nach Lösungen hat begonnen. Eine angemessene Verbindung zwischen dem gebotenen Opferschutz und der Wiederzugänglichkeit wichtiger Unterlagen scheint mir darin zu liegen:

- dass zweifelsfrei festgestellt wird, daß nur solche Informationen
  herausgegeben werden, die dem öffentlichen Wirken oder der
  Amtsausübung entstammen, 
- dass die Verwendung der Daten ausschließlich der MfS-Aufarbeitung
  dient und dass durch geeignete Verfahren gesichert wird, daß Daten
  Betroffener und Dritter nicht zu ihrem Nachteil verwendet werden. 
  Skeptisch betrachte ich dagegen den auf den ersten Blick verführerischen
  Vorschlag, eine neue Kategorie "Funktionäre" in den § 6 StUG einzufügen
  oder als Gruppe im § 32 StUG von der Einwilligungspflicht auszunehmen.
  Abgesehen davon, daß hier möglicherweise der Gleichheits- bzw.
  Verhältnismäßigkeitsgrundsatz tangiert wäre, werden von einer solchen
  "Lösung" wichtige Fallgruppen nicht berührt: 
  Kirchliche Amtsträger; bekannte Sportler, Künstler, DDR-Oppositionelle
  und Wissenschaftler; Spitzenpolitiker und Unterhändler aus dem Westen
  und der "Dritten Welt"; Politiker, Funktionäre und Mitarbeiter der
  Sicherheitsorgane aus den sozialistischen "Bruderländern"; Funktionäre
  links- und rechtsextremer Organisationen und Parteien bis hin zu 
  Terroristen. 

Der Bundestag wird auch eine Entscheidung zum § 14 zu treffen haben. Für den Gesetzgeber war die Möglichkeit der Anonymisierung der personenbezogenen Informationen Bedingung für die Aktenöffnung. Die Betroffenen sollten nur für einen begrenzten Zeitraum hinnehmen müssen, dass ihre Namen auch gegen ihren Willen in den Unterlagen erhalten bleiben. Inzwischen - fast 10 Jahre nach Inkrafttreten des StUG - ist deutlich geworden, wie groß der Wert der MfS-Unterlagen als wichtige Quelle zeithistorischer Forschung ist. Die bisherige Praxis hat zudem gezeigt, dass sowohl die Behörde als auch die Nutzer verantwortungsbewusst und gesetzeskonform mit den Unterlagen umgehen und die schutzwürdigen Belange der Betroffenen und Dritten beachten. Deshalb unterstütze ich nach sorgfältiger - und ehrlich gesagt nicht einfacher - Abwägung die Forderungen nach einer Streichung des § 14 StUG." 

(Redeentwurf, gehalten am 25.4.2002 vor dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages)

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