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Deutschlandfunk - Manuskript vom: 26.4.2000 • 18:40
von: Otto Langels

Der Streit über den Umgang mit Stasi-Akten. Gegensätzliche Ansichten.


Ströbele: "Wir dürfen auch heute nicht vergessen, dass das Gesetz über die Stasi-Unterlagen die Unterschrift von Helmut Kohl trägt. Der hat das nicht nur im Bundestag mit beschlossen, sondern er war auch einer der, die das mit veröffentlicht haben. Also es mutet schon sehr seltsam an, dass hier zweierlei Recht gelten soll."

Scholz: "Helmut Kohl ist ein Opfer im Westen gewesen. Deshalb können Unterlagen über ihn nur veröffentlicht werden, wenn er damit einverstanden ist. Dann ist die Möglichkeit gegeben, denn er entscheidet über sein Persönlichkeitsrecht, und niemand anders."

Gegensätzliche Ansichten des grünen Bundestagsabgeordneten Hans Christian Ströbele und des CDU-Abgeordneten Rupert Scholz zu der Frage, ob von der Stasi abgehörte Telefonate veröffentlicht bzw. als Beweismittel in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss verwendet werden dürfen. Jahrzehnte-lang hat der DDR-Geheimdienst Telefongespräche bundesdeutscher Politiker systematisch abgehört und aufgezeichnet. Besonders brisant ist dabei der Lauschangriff auf Helmut Kohl. Der Altbundeskanzler hat angekündigt, notfalls gerichtliche Schritte gegen die Herausgabe der Stasi-Protokolle einzuleiten und alle Rechtsmittel bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung auszuschöpfen. Im Grundsatz dreht sich der Streit um das Problem, ob der vor kurzem eingesetzte Bundestags-Untersuchungsausschuss auf die Abhörprotokolle zurückgreifen darf, um Licht ins Dunkel der CDU-Parteispendenaffäre zu bringen. Können die Akten außerdem Wissenschaftler und Journalisten einsehen, wenn sie die Tätigkeit der "Firma Horch und Guck" historisch und politisch erforschen wollen? Vor fast einem Jahrzehnt, am 20. Dezember 1991, hat der Deutsche Bundestag das Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR verabschiedet, kurz Stasi-Unterlagengesetz genannt. Geregelt werden darin die Erschließung, Verwaltung und Verwendung der Stasi-Akten sowie die Rechte einzelner Personen im Umgang mit gespeicherten Informationen. Zuständig für die Hinterlassenschaft des DDR-Geheimdienstes ist der Bundesbeauftragte Joachim Gauck. Um welches Material es sich im derzeit Aufsehen erregenden Fall abgehörter Telefonate handelt, erläutert der Direktor der Gauck-Behörde, Peter Busse.

Busse: "Wir haben zunächst Tonbänder, worauf Gespräche, Telefongespräche, die von West-Politikern abgehört worden sind von der Stasi, nicht verschriftet worden sind von der Stasi, die also da noch im Originalzustand sind. Dann haben wir Protokolle von Gesprächen, die verschriftet worden sind. Das dritte ist, dass die Stasi Informationen gegeben hat nach oben hin, und sie hat also mehrere Telefongespräche, den sachlichen Kern dieser Gespräche zusammengefasst, also verdichtet. Da ist der persönliche Charakter eines Telefongespräches weitgehend draußen, sondern dass sind dann sachliche Informationen, die sich aus diesen Telefongesprächen ergeben haben."

Vor allem ostdeutschen Bürgerrechtlern ist es zu verdanken, dass diese Unterlagen nach der Wende nicht vernichtet oder wie andere Archivbestände zu-nächst einmal mit einer 30jährigen Sperrfrist versehen wurden. Sie setzten sich noch zu DDR-Zeiten in der ersten frei gewählten Volkskammer dafür ein, dass Stasi-Opfer ihre Akten einsehen konnten. Der CDU-Politiker Lothar de Maizière war 1990 letzter Ministerpräsident der DDR.

de Maizière: "Es gab in der Volkskammer sehr unterschiedliche Meinungen dazu. Sie entsinnen sich sicher, dass im Zuge der Verhandlungen zum Einigungsvertrag man die Auffassung vertrat, dass diese Unterlagen dem Bundesarchiv nachgeordnet werden sollten, dass da Bürgerrechtler, aber auch Mitglieder aller Fraktionen der Meinung waren: Nein, dies muss in anderer Weise gehandhabt werden, es soll den Opfern dieses Systems die Möglichkeit gegeben werden, ihre Rehabilitierung zu betreiben im Nachweis, dass man dort in schäbiger Weise gegen sie vorgegangen ist. Aber eine abschließende Regelung hat's nicht gegeben."

Abschließend behandelte schließlich der Bundestag das Thema im Dezember 1991 - nach harten Auseinandersetzungen zwischen Ost und West: Die Bundesregierung wollte die Stasi-Akten dem Bundesarchiv übergeben und damit 30 Jahre verschlossen halten. Ostdeutsche Bürgerrechtler konnten dies u.a. durch einen Hungerstreik verhindern. Am Ende stand das Stasi-Unterlagengesetz.

de Maizière: "Ich gestehe, dass ich damals, als das Gesetz kam, auch gegen diese pauschale Öffnung war. Ich habe im Nachhinein meine Meinung dort korrigiert, weil ich der Meinung bin, dass durch die Öffnung dieser Akten sie sogar eher enttabuisiert worden sind und ihnen dieses Skandalumwitterte und Geheimnisvolle genommen ist. Wir haben also ja auch merkwürdige Erlebnisse damit gehabt. Leute, die von sich behaupteten, jahrelang verfolgt gewesen zu sein, finden gar keine Akten; so interessant waren sie offensichtlich für die Staatssicherheit nicht. Und andere Geschehnisse lassen sich erst jetzt erklären - mit den Akten zusammen, aber eben immer im Zusammenhang mit anderen Beweismitteln."

Das Stasi-Unterlagengesetz unterscheidet zwischen Tätern, Opfern und Personen der Zeitgeschichte bzw. Inhabern politischer Funktionen. Täter, z.B. sogenannte Inoffizielle Mitarbeiter, müssen sich die Veröffentlichung ihrer Akten gefallen lassen, soweit sie nicht ihre Privat- oder Intimsphäre berühren. Aufsehen erregte der Fall Gregor Gysi. Der PDS-Politiker wehrte sich bis vor die Schranken des Bundesverfassungsgerichts vergeblich dagegen, dass der Bundestag anhand von Unterlagen aus der Gauck-Behörde mehrheitlich zu der Auffassung kam, er sei unter dem Decknamen "Notar" IM der Stasi gewesen. Unterlagen von Opfern können dagegen nur dann veröffentlicht werden, wenn die betroffenen Personen einwilligen. Dies gilt nicht für Personen der Zeitgeschichte und damit auch für Politiker. Sie seien zwar auch Opfer der Stasi, wenn sie abgehört oder ausgespitzelt wurden, meint Peter Busse. Dennoch müssten sie sich gefallen lassen, dass Wissenschaftler und Journalisten ihre Akten für politische und historische Studien nutzten.

Busse: "Hier hat der Gesetzgeber gesagt, zur Aufarbeitung der Staatssicherheit müssen hier Informationen auch gegen den Willen herausgegeben werden, soweit es die Stellung als Person der Zeitgeschichte, als Amtsträger, als Inhaber politischer Funktionen betrifft. Aber der private Bereich und ganz die Intimsphäre bleibt auch hier unberührt. Aber das, was im öffentlichen Bereich gesagt worden ist, das soll auch zur Aufarbeitung der Tätigkeit, des Wirkens der Staatssicherheit herausgegeben werden können."

Vom Wirken der Staatssicherheit war in erheblichem Maße auch der westliche Teil Deutschlands betroffen - im Stasi-Jargon als "Operationsgebiet" bezeichnet. Mit der Bearbeitung des Westens waren fast alle Diensteinheiten in Mielkes MfS beschäftigt. Erforschung der Stasi-Vergangenheit ist entgegen landläufiger Meinung deshalb nicht allein ein Problem der Ostdeutschen. Auf ihrer Konferenz Mitte April haben die Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes betont, dass das Gesetz aus dem Jahr 1991 in beispielloser Weise Möglichkeiten eröffnet habe, Mechanismen und Arbeitsweisen des ostdeutschen Unterdrückungsapparates offenzulegen. Der Berliner Landesbeauftragte Martin Gutzeit.

Gutzeit: "Das MfS hat an der Grenze, an der Mauer nicht Halt gemacht, sondern hat sehr, sehr intensiv auch Richtung Westen gearbeitet. Und sie haben nicht nur gehört, sondern sie haben natürlich auch aktiv versucht, sich in politische Entscheidungsprozesse einzumischen. Nehmen Sie die Friedensbewegung, aber auch andere Bereiche, wo sie tätig waren. Und natürlich auch in Parteien wie der CDU. Diese brisanten Informationen über die Handlungen innerhalb der CDU, die lagen beim MfS vor. Und wer kann denn heute schon sagen, ob und in welcher Weise eben diese Informationen genutzt wurden."

Die Geschichte der Stasi sollte aufgearbeitet werden, nicht aber die Tätigkeit der Personen, die von der Stasi ausgeforscht wurden, meint dagegen der CDU-Bundestagsabgeordnete Rupert Scholz. Scholz ist Professor für Verfassungsrecht an der Freien Universität Berlin und Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag.

Scholz: "Das Stasi-Unterlagengesetz ist für die Opfer da und für die Aufklärung von Täterschaften. Es ist aber nicht dazu da und erlaubt das nicht, dass Persönlichkeitsrechte verletzt werden, dass man im Grunde erst nachträglich Opfer - so kann man es formulieren - Opfer der Stasi-Praktiken schafft."

Ähnlich kritische Töne waren in früheren Jahren allerdings nicht zu hören, als Journalisten Stasi-Unterlagen über Willy Brandt oder Herbert Wehner veröffentlichten. 1994 erschien z. B. eine über 800 Seiten dicke Materialsammlung zu Wehners Tätigkeit als KPD-Funktionär in den 30er Jahren. Ein Zusammenhang dieser Akten mit dem Wirken der Stasi ist nicht evident. Aber stellt sich hier - wie auch bei abgehörten Telefonaten - nicht die Wissenschaftler wie Journalisten gleichermaßen interessierende Frage, wie weit der Arm der Stasi reichte? Welchen Gebrauch machte Mielkes Imperium von den illegal gewonnenen Informationen? Wurde das Material benutzt, um damit auf Politiker einzuwirken und sie womöglich zu erpressen oder zu bestechen? Der Direktor der Gauck-Behörde, Peter Busse, über die Intention des Stasi-Unterlagengesetzes:

Busse: "Es sollte nicht nur die Innenansicht der Stasi aufgearbeitet werden und die Stasi-Tätigkeit innerhalb der früheren DDR, sondern auch das Wirken der Stasi außerhalb der DDR, nach West-Berlin, in die Bundesrepublik (alt) und auch ins Ausland - und, die Informationen, die da gewonnen worden sind: Wie reagiert die Stasi und möglicherweise die politische Führung auf diese Informationen, die gewonnen wurden; auch mögliche finanzielle Dinge in der Bundesrepublik. Das gehört auch zur Aufarbeitung, zur historischen Aufarbeitung der Staatssicherheit."

"Für die Forschung zum Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung", heißt es in §32 des Gesetzes vom Dezember 1991, "stellt der Bundesbeauftragte Unterlagen zur Verfügung, soweit durch die Verwendung keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen beeinträchtigt werden." Dem Recht auf Wissenschafts- und Pressefreiheit steht das Recht auf Persönlichkeits- und Datenschutz entgegen. Muss also der Anspruch auf historische oder politische Aufklärung zurückstehen, wenn zum Beispiel Helmut Kohl als Opfer eines Stasi-Lauschangriffs die Herausgabe der Abhörprotokolle ablehnt? In der zweiten und dritten Lesung des Gesetzes im Deutschen Bundestag im November 1991 wies der FDP-Abgeordnete Burkhard Hirsch auf das Recht von Journalisten hin, im Rahmen der allgemeinen Pressegesetze alles zu veröffentlichen, was ihnen an Informationen zugetragen werde. In keiner anderen öffentlichen Einrichtung bekämen sie bei Personen der Zeitgeschichte und Amtsträgern einen so weit reichenden Einblick in Unterlagen. Wenn die Behörde des Bundesbeauftragten Akten zur Verfügung stelle, in denen auch die Privatsphäre Einzelner berührt werde, dann, so Hirsch, müsse sie prüfen, wie sie berechtigte Interessen der betroffenen Personen schützen könne. Der Berliner Rechtsanwalt und promovierte Historiker Johannes Weberling hat einen Fachkommentar zum Stasi-Unterlagengesetz veröffentlicht. Er sieht die schutzwürdigen Interessen garantiert, wenn die Gauck-Behörde Informationen aus dem Privatleben Betroffener zurückbehält oder schwärzt, die Materialien ansonsten aber freigibt.

Weberling: "Im konkreten Fall heißt das, und das wird bei diesen personenschutzrechtlichen Aspekten bei Stasi-Akten immer wieder so entschieden, dass Bereiche, die die Privatsphäre, die die Intimsphäre angehen, natürlich Tabu sind, dass aber sehr wohl Wissenschaft und Forschung auf Antrag Akten mit amtsbezogenen, zeithistorisch interessanten Aspekten zu Personen herausgegeben werden und lediglich noch einmal bei der Veröffentlichung von den Medien und von den Wissenschaftlern zu prüfen ist, ob möglicherweise diese Veröffentlichung personenschutzrechtliche Aspekte verletzt. Da gibt es natürlich auch eine gewisse Eigenverantwortung von Medien und von Wissenschaftlern, aber andererseits haben sie selbstverständlich das Recht, diese Akten einzusehen, ausgenommen Privatsphäre, Intimsphäre, sofern sie nicht mit dem Amt oder mit der Person der Zeitgeschichte was zu tun hat, bleibt die natürlich Tabu."

Der Konflikt um die Herausgabe von Abhörprotokollen dreht sich nicht nur um die Verwendung von Stasi-Akten zu wissenschaftlichen oder publizistischen Zwecken. Umstritten ist auch die Frage, ob ein Untersuchungsausschuss die Unterlagen nutzen darf. Im Stasi-Unterlagengesetz gibt §22 darauf Antwort. Dort heißt es, dass das Recht auf Beweiserhebung durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse sich auch auf Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes erstreckt. Entsprechend haben in den vergangenen Jahren Untersuchungsausschüsse des Bundestags und der Landtage diese Möglichkeit ausgiebig genutzt - und sich dabei nicht von der Tatsache abschrecken lassen, dass die Informationen in den Stasi-Akten fast immer illegal zustande gekommen sind, sei es durch Lauschangriffe, Spitzeldienste oder Erpressung. Jeder Untersuchungsausschuss kann volle Akteneinsicht bekommen, wenn er wolle, interpretiert der Jurist Johannes Weberling §22 des Stasi-Unterlagengesetzes.

Weberling: "Man muss deswegen, denke ich, sehen, dass gerade parlamentarische Untersuchungsausschüsse, die keine Strafverfolgungsbehörden sind, die eben Ausschüsse sind, die zur Aufklärung von Sachverhalten im Interesse des Parlamentes arbeiten und damit letztendlich von uns allen arbeiten, dass die eben ein weitestgehendes Recht haben, Fragen, die zu Recht an das Parlament, an die Abgeordneten gerichtet werden, aufzuarbeiten. Und dass ihnen dazu alle Unterlagen, auch des Staatssicherheitsdienstes, zur Verfügung stehen müssen."

So zog zum Beispiel der Bundestagsuntersuchungsausschuss "DDR-Vermögen" in der vergangenen Legislaturperiode alle Unterlagen der Stasi-Hauptabteilung XVIII, Spionageabwehr, heran. Der Untersuchungsausschuss des Landtages Mecklenburg-Vorpommern zur Klärung der Vorkommnisse um die Mülldeponie Schönberg nutzte ebenso Stasi-Akten wie ein entsprechendes Kontrollorgan in Schleswig-Holstein. Der grüne Abgeordnete Hans Christian Ströbele, der Mitglied des Bundestagsuntersuchungsausschusses zur Aufklärung der CDU-Spendenaffäre ist, erinnert an die Vorgänge um Uwe Barschel und Björn Engholm im Jahr 1995.

Ströbele: "Es gab den Untersuchungsausschuss im schleswig-holsteinischen Landtag zur so genannten Schubladenaffäre Engholm/Barschel. Dieser Untersuchungsausschuss hat damals auch Akten der Stasi beigezogen, abgehörte Telefongespräche von Engholm, weil die zur Aufhellung der Affäre wohl sehr geeignet waren. Ich weiß nicht, was im einzelnen drin war, aber die waren wichtig. Damals hat die CDU in Schleswig-Holstein sich heftig dafür eingesetzt, dass diese Akten in dem Untersuchungsausschuss betreffend Engholm verwertet werden. Engholm hat damals dagegen geklagt - und die SPD - und hat in zweiter Instanz Recht bekommen. Das Landgericht hat in einer sehr gut begründeten, spektakulären Entscheidung gesagt, diese Akten dürfen nicht beigezogen und nicht verwertet werden."

Die Entscheidung des Kieler Landgerichts hätte vor dem Bundesverfassungsgericht kaum Bestand gehabt, glaubt Johannes Weberling. Politiker und Amtsträger müssten in ihrem öffentlichen Wirken größere Einschränkungen hinnehmen als andere Personen.

Weberling: "Damals hat Engholm schlichtweg nicht die Wahrheit gesagt, ist zu Recht deswegen auch zurückgetreten oder musste zurücktreten deswegen. Und natürlich hat die CDU damals zu Recht darauf hingewiesen, dass er die Wahrheit nicht gesagt hat und deswegen auch die Möglichkeiten angefordert über den Untersuchungsausschuss, die sie meinte, finden zu können. Dass das Landgericht Kiel in völliger Verkennung und schlichtweg leichter Ignoranz gegenüber den Regelungen des Stasi-Unterlagengesetzes gesagt hat, das sei alles menschenrechtswidrig und datenschutzwidrig, deswegen dürfe das nicht gemacht werden, steht auf einem anderen Blatt. Tatsache ist aber, dass Engholm die Unwahrheit gesagt hat und die Stasi-Protokolle, wie dann auch rausgekommen ist, das Gegenteil belegt haben, u.a., nicht nur die Stasi-Unterlagen."

Im Fall der so genannten Schubladen-Affäre hatte die schleswig-holsteinische CDU keine Bedenken, Stasi-Akten heranzuziehen, um Vorgänge aufzuklären, die weder direkt noch indirekt etwas mit dem DDR-Geheimdienst zu tun hatten. Jetzt wendet sich der CDU-Rechtsexperte Rupert Scholz gegen die Verwendung von Abhörprotokollen im parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Eine veränderte Ansicht aufgrund jahrelanger Erfahrungen mit dem Stasi-Unterlagengesetz oder parteipolitisches Kalkül, weil diesmal nicht ein SPD-, sondern ein CDU-Politiker Opfer einer Abhöraktion ist?

Scholz: "Diese Bestimmung im Stasi-Unterlagengesetz bezieht sich auf das, was die Aufarbeitung des Stasi-Unrechts angeht, d.h. wenn ein Untersuchungsausschuss sich befasst mit Tätern oder mit Personen, die im Verdacht stehen, Täter gewesen zu sein, aber Täter der Stasi, - das beginnt mit Namen wie Stolpe, Gysi, dazu gehört natürlich auch Schalck-Golodkowski, KoKo - dann sind natürlich diese Unterlagen heranzuziehen. Aber das ist die Zielsetzung: Aufarbeitung gegebenenfalls zur Wiedergutmachung, zur Rehabilitierung von Opfern und vor allem zur Feststellung von Tätern. Aber das unterscheidet sich ja grundlegend von einem Sachverhalt, einem Untersuchungsauftrag eines Untersuchungsausschusses, der sich mit Dingen befasst, die gerade nicht Thema der Stasi gewesen sind. Hier würde man, wenn man Stasi-Unterlagen einführt, genau das Gegenteil erreichen von dem, was das Gesetz vorsieht, man würde sozusagen nachträglich noch Opfer von Stasi-Praktiken schaffen."

In Gerichtsverfahren ist es gängige Praxis, auf Stasi-Akten zurückzugreifen, um Straftaten aufzuklären. In Prozessen um Doping, Spionage oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wurden immer wieder Unterlagen aus der Gauck-Behörde als Beweismittel herangezogen. Staatsanwälte und Richter bescheinigten den Akten eine hohe Glaubwürdigkeit und verzichteten keineswegs auf ihre Verwertung, weil sie illegal zustande gekommen waren. Aber darf deshalb ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss Abhörprotokolle verwenden, um eventuelle Rückschlüsse auf die Spendenpraxis der CDU oder schwarze Konten im Ausland ziehen zu können? Hat Belastungsmaterial, das unter Verletzung der Privatsphäre beschafft wurde und die Würde des Menschen verletzt, in einem rechtsstaatlichen Verfahren etwas zu suchen, bei dem es nicht um kriminelle Machenschaften der Stasi geht, nicht um die Aufklärung von Kapitalverbrechen und nicht um die Überführung von Spitzeln? Möglicherweise muss das Bundesverfassungsgericht diese Fragen beantworten. Von einem schwierigen Problem der Abwägung spricht Hans Christian Ströbele.

Ströbele: "Das Recht, die Pflicht, sage ich sogar, des Parlaments, solche Staatsaffären aufzuklären, hat auch Verfassungsrang. Im Artikel 44 des Grundgesetzes ist ausdrücklich geregelt, dass der Deutsche Bundestag, also das Parlament, sich des Mittels des Untersuchungsausschusses bedienen kann und soll, um solche wichtigen Sachverhalte aufzuklären. Und da gibt es eine Konkurrenz des Persönlichkeitsrechts zu der Pflicht, Untersuchungsausschüsse zu bilden und solche Sachen aufzuklären, Kontrollrecht des Parlaments auf diese Weise wirksam werden zu lassen. Das muss immer wieder neu entschieden werden und abgewogen werden."

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