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Medienbeiträge
Deutschlandfunk
- Politisches Feuilleton 12.4.2000 • 7.20
von Klaus Schroeder
Zweierlei Maß. Die Stasi-Akten und die Demokratie.
Die
untergegangene DDR hat als Erbe nicht nur eine bankrotte Wirtschaft
und eine marode Infrastruktur, eine verseuchte Umwelt und zerfallene
Stadtkerne hinterlassen. Zu ihrem Erbe gehören auch umfangreiche
Aktenbestände des sogenannten Ministeriums für Staatssicherheit, dem
Unterdrückungs- und Spionageapparat der SED. Dieser agierte mit beträchtlichem
technischen und personellen Aufwand immer gesamtdeutsch und warf somit
auch Schatten auf die Bundesrepublik. Die Gauck-Behörde hat sich mit
der Erforschung der MfS-Westarbeit erstaunlich viel Zeit gelassen, so
dass eine vermeidbare Ost-West-Schieflage bei der Aufarbeitung
entstand, die bei vielen Ostdeutschen den Verdacht nährte, der Westen
benutze das MfS-Material nur zur Herabwürdigung der Ostdeutschen.
Dieses Versäumnis hat Joachim Gauck zu verantworten, auch wenn er
sich jetzt, kurz vor Ende seiner Dienstzeit, mutiger zeigt.
Was die Stasi bis 1990 nicht schaffte, nämlich die Bundesrepublik zu
destabilisieren, scheint ihr nun zehn Jahre nach ihrem Ende zu
gelingen. Die Veröffentlichung von Telefonmitschnitten könnte
Einblick gewähren in Grauzonen der bundesdeutschen Politik; in den
Bereich, wo es unappetitlich und vielleicht auch kriminell zuging. Die
westdeutsche Seite hatte schon bei den Verhandlungen über den
Einigungsvertrag Unheil kommen sehen und einen restriktiven Umgang mit
den gesamten Stasi-Akten gefordert. Verhandlungsführer Wolfgang Schäuble
gibt in seinen Erinnerungen offenherzig an, dass er des öfteren darüber
nachgedacht habe, ob man nicht unbesehen alles vernichten könne. Doch
vor allem die ostdeutschen Bürgerrechtler haben dies verhindert. Sie
wollten den Unterdrückten von einst den Einblick in das ganze Ausmaß
der Bespitzelung und der Unmenschlichkeit dieses realen Sozialismus
ermöglichen. Nicht nur von Stasi-Personal wurden in der Endphase der
DDR Akten vernichtet, sondern auch von westdeutschen Beamten. Obwohl
dabei tonnenweise Material und jedenfalls mehr, als die Öffentlichkeit
bisher im Detail weiß, beseitigt wurde, existieren immer noch
hinreichend Unterlagen, so dass schon die Ankündigung ihrer Veröffentlichung
die Republik erschüttert.
Der Umgang mit dieser Hinterlassenschaft wurde im sogenannten
Stasi-Unterlagengesetz geregelt. Hiernach haben Opfer das Recht auf
Einsicht, genießen aber Persönlichkeitsschutz, d.h. sie betreffende
Unterlagen dürfen nur mit ihrer Zustimmung veröffentlicht werden. Für
die Täter, die offiziellen und die inoffiziellen, gilt dieser Schutz
nicht, sie müssen mit öffentlicher Enttarnung rechnen. Abgehörte
westdeutsche Politiker fallen zweifelsohne in die Kategorie
"Opfer" und genießen insoweit ebenfalls Persönlichkeitsschutz,
aber nicht in den Fällen, in denen sie als Personen der
Zeitgeschichte agierten und es ein öffentliches Interesse an der
Aufklärung von Tatbeständen gibt. Dies ist bei der Spendenaffäre
der CDU der Fall. Der hierfür gebildete Untersuchungsausschuss sollte
deshalb diese Unterlagen zu seiner Information heranziehen. Um
Missbrauch zu verhindern, könnte er Wissenschaftler oder
Vertrauenspersonen bitten, das von der Gauck-Behörde um private Dinge
gesäuberte Material zu sichten und, soweit möglich, auf seinen
Wahrheitsgehalt zu prüfen. Dabei geht es wohlgemerkt um politische
Aufklärung und nicht um eine strafrechtliche Ahndung, wo illegal
erworbenes Material generell nicht beweiskräftig ist.
Der Untersuchungsausschuss erhält die Möglichkeit, Licht in eine
Angelegenheit zu bringen, die ja nicht Resultat einer Intrige oder
Desinformationskampagne der Stasi ist, sondern Resultat illegaler
Spendenpraktiken einer Partei, die die Bundesrepublik über mehrere
Jahrzehnte regiert und nachhaltig geprägt hat. Zu befürchten ist
freilich, dass sich Regierung und Opposition schnell einig sein
werden, die Unterlagen nicht heranzuziehen und das
Stasi-Unterlagengesetz dahingehend zu verändern, dass diese Akten,
wenn schon nicht vernichtet, so doch möglichst lange aus dem Verkehr
gezogen werden. Schließlich droht weiteres Ungemach, würden
hierdurch doch bisher noch unbekannte oder noch nicht geklärte Affären
und vor allem die enge Zusammenarbeit von Ost und West aufgedeckt
werden können. Betroffen wären alle Parteien, wenn auch
unterschiedlich stark und auf verschiedenen Feldern. Nach der
Auswertung der Stasi-Unterlagen würde sich zeigen, wovon ein "übler
Geruch" ausgeht; ob von den Akten, wie Helmut Kohl behauptet,
oder von dem, worüber sie berichten.
Bei der Entscheidung, wie wir mit diesen Stasi-Unterlagen umgehen,
geht es um weit mehr als um die Aufdeckung von Spendernamen; es geht
um eine ernste Bewährungsprobe der deutschen Demokratie. Sie kann und
muss sich dieser Herausforderung stellen, will sie mehr als eine
"Schönwetter-Demokratie" sein. Der entscheidende Vorteil
der Demokratie gegenüber der Diktatur ist ihre durch eine kritische
Öffentlichkeit gesicherte weitgehende Transparenz und ihre Fähigkeit,
selbstreinigend mit Skandalen umzugehen. Die Flick-Affäre, der
Skandal um die gewerkschaftseigene Neue Heimat, oder auch der anfangs
eher zögerliche und später bisweilen selbstquälerische Umgang mit
der nationalsozialistischen Vergangenheit belegen, dass langfristig
Aufklärung die Demokratie stärkt und nicht Verdrängung.
Klaus Schroeder: Der 1949 in Lübeck geborene Klaus Schroeder lehrt an
der Freien Universität Berlin Politische Wissenschaften. Der
habilitierte Sozialwissenschaftler leitet an der FU den
Forschungsverbund SED-Staat und die Arbeitsstelle Politik und Technik.
Letzte Veröffentlichungen: Der SED-Staat. Partei und Gesellschaft
1949 - 1990, Hanser Verlag, München 1998; Land in Sicht. Die Fusion
von Berlin und Brandenburg, Aufbau Verlag, Berlin 1996;
Transformationsprozesse in ostdeutschen Unternehmen, Akademie Verlag,
Berlin 1995; (zus. Mit Ulrich Hartmann und Stefan Herten) sowie
Geschichte und Transformation des SED-Staates, Beiträge und Analysen,
Akademie Verlag, Berlin 1994; (zus.mit Walter Heering).
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