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Medienberichte
Wer wen? Tatort Berlin: Die PDS
kultiviert Volksfrontmanieren
Von Konrad Weiß
Bald, nachdem im Dezember 1989 Gregor Gysi zum letzten SED-Vorsitzenden gewählt worden war, ergab sich nach einer
Veranstaltung in der Ostberliner Akademie der Künste ein langes nächtliches
Gespräch. Wir standen auf der Straße, es war bitter kalt, und ich
versuchte Gysi zu überzeugen, dass er seinen Verein auflösen müsse.
Ich war zwar - und bin noch heute - der Meinung, dass in Deutschland Raum für eine demokratische Linke jenseits der SPD ist. Aber ich
konnte und kann mir immer noch nicht vorstellen, dass diesen Platz
ausgerechnet jene reaktionären Kader, die sich in "demokratische
Sozialisten" umbenannt haben, ausfüllen würden.
Gysi, den ich erst kurz zuvor kennen gelernt hatte und den ich noch für
einen integren Anwalt hielt, argumentierte vor allem mit den alten
verdienten Genossen, denen er in den unruhigen Zeiten nicht die
politische Heimat nehmen könne. Meinen Einwand, die PDS werde nur
dann glaubwürdig sein, wenn sie sich von allem Besitz trennt, auf
ihre ausgebaute Infrastruktur verzichtet und wie die Bürgerbewegung
bei null anfängt, schien er zwar mit Sympathie anzuhören. Es war ja
die Zeit, in der das Wort Dialog groß geschrieben wurde, auch
zwischen Unterdrückern und Unterdrückten. Und es schien eine Zeit
lang, als seien die Genossen tatsächlich beschämt über das Unheil
und Unrecht, das ihre Partei zu verantworten hatte.
Zwölf Jahre später bin ich mir dessen nicht mehr sicher. Sondern
denke, dass sie die Versöhnungsbereitschaft der Ostdeutschen nur dazu
genutzt haben, ihre Macht zu erneuern. Wir hätten nicht vergessen
sollen, was uns im Marxismus-Unterricht oft genug eingebläut worden war: Dass es
immer um die Macht geht, um die Eroberung der politischen Herrschaft,
um die Frage Wer wen? Die Bürgerbewegung hätte wissen müssen, dass sie
von Gysi und Genossen über den Runden Tisch gezogen wird, historisch gesetzmäßig gewissermaßen. Und mit ihnen die Mehrheit der
Ostdeutschen, auch jene, die nun die PDS wieder wählen . Die
Sozialisten jedenfalls sind auf dem Vormarsch. Und die Bürgerbewegung
kann sich ihre idealistischen Vorstellungen von politischer Partizipation,
Basis-Demokratie und Bürgerrechten aufsparen bis zur nächsten
Revolution.
Mit der Regierungsbeteiligung in Berlin hat die PDS eine weitere
Etappe auf dem Rückweg zur Macht bewältigt. In diesen Tagen ziehen
die Sozialisten wieder ins Rote Rathaus ein, aus dem die Ostberliner
sie vor zwölf Jahren hinausgejagt hatten. Die PDS scheint sich ihrer
Rückkehr sehr sicher gewesen zu sein. Demonstrativ hatte sie schon am
Wahlabend im Oktober vor das Rote Rathaus ins Bierzelt geladen. Das
war eine ziemlich gespenstische Veranstaltung. Stumm saß im
Hintergrund an langen Bänken die graue Garde der Obristen, Kaderleiter und Parteisekretäre,
die Vorhut der Arbeiterklasse. Auf der Bühne präsentierten sich bunt
die führenden Genossen, der Kandidat Gysi leierte zum x-ten Male seine
Versatzstücke aus dem Wahlphrasen-Baukasten daher. Er leierte
wirklich, denn hier musste er niemanden überzeugen . Zwischen der grauen Garde
und den bunten Führern taumelten die Jungen und Verführten, die
meinten, nun hätte die Weltrevolution halb gesiegt.
Und es war ausgerechnet die Berliner SPD, die den SED-Nachfolgern die Rückkehr ins Rote Rathaus ermöglicht hat. Sie kündigt damit den
antitotalitären Konsens auf, der bislang, trotz vieler Gegensätze,
die demokratischen Parteien der Bundesrepublik geeint hatte. Wenn es
schon nicht zu verhindern war, dass radikale Parteien in ein Parlament gewählt
werden, so hat man doch nicht mit ihnen koaliert. Bei den Nachbetern
der Nationalsozialisten hat sich das im Großen und Ganzen bewährt. Doch
bei der Nachhut des Realsozialismus hat die SPD dieses stillschweigende
Übereinkommen gebrochen. Sie hat damit die Republik tiefgreifender beschädigt, als es gegenwärtig zu erkennen ist.
Partei eigenen Typs
Wer sich mit der PDS und ihrem Programm und Personal auch nur ein wenig genauer befasst, stößt auf die Relikte totalitärer
Herrschaft. Gegenwärtig diskutiert die PDS über ein neues Programm. Nicht nur
die Kommunistische Plattform, auch Hans Modrow, der Ehrenvorsitzende der
PDS, der 1989 als Reformer und Hoffnungsträger galt, fordert heute, unverrückbar am Sozialismus als Ziel aller Bestrebungen festzuhalten.
Auf dem Wege dorthin ständen Macht- und Eigentumsverhältnisse im
Wege - eben jene Verhältnisse, die die Grundlage unserer Demokratie
bilden. Modrow selbst sieht die PDS nicht als eine demokratische
Partei im Sinne des Grundgesetzes, sondern als eine "Partei mit
eigenem Typus". In der DDR umschrieb die SED mit der Formel von
der "Partei neuen Typs" ihren totalitären Macht- und Führungsanspruch.
Im Programmentwurf selbst wird im Kern das wiederholt, was schon bei KPD und SED im Parteiprogramm stand, freilich ein wenig moderner und
mit viel Demokratie, Ökologie und Feminismus kaschiert. Die
Kernaussage aber lautet: "Sozialismus ist für uns ein
notwendiges Ziel." Um dieses Ziel zu erreichen, wärmen die demokratischen Sozialisten selbst das bewährte
Volksfrontmodell wieder auf, mit dem die Kommunisten auch früher
schon versucht haben, ihre Macht zu festigen: das Unterwandern und totale
Vereinnahmen der Gesellschaft. Wer die PDS beobachtet hat, ist davon nicht überrascht, es war von Anfang an ihre Praxis. Ein guter Teil
ihrer Wahlerfolge ist so zu erklären. Doch nun fordert sie offen,
"dass die Mitglieder der PDS stärker noch als bisher in demokratischen,
sozialen und politischen Bewegungen wirken: in den Gewerkschaften und
Betrieben, in der Frauenbewegung, den Zusammenschlüssen von schwulen und
lesbischen Menschen, in antifaschistischen, antirassistischen und antimilitaristischen Organisationen, in Arbeitsloseninitiativen,
Mieter- und Verbraucherverbänden, den Initiativen von Menschen mit
Behinderungen, Umwelt- und Dritte-Welt-Gruppen, in Jugend- und Studierendengruppen, in anderen sozialen und kulturellen Initiativen
sowie mit Menschen, die in Kirchen, Religionsgemeinschaften und
sozialen kirchlichen Einrichtungen engagiert sind." Die SPD kann schwarz
auf weiß nachlesen, was ihr zugedacht ist. Bei der Bürgerbewegung ist das
Konzept aufgegangen. Mancher, der in der DDR nichts mit die Partei zu tun
haben wollte, hält sie heute für die demokratische und soziale
Alternative.
Zunächst aber wird die Öffentlichkeit in Berlin verfolgen können,
wie es der PDS gelingt, zugleich als "kapitalismuskritische Opposition
und als gestaltende Reformkraft" zu wirken. Besonders für den neuen
Bürgermeister
und Wirtschaftssenator Gysi wird das eine Herausforderung sein. Das Parteiprogramm beschreibt zwar detailliert, wie die schöne
neue Welt aussehen soll . Aber es sagt nichts darüber, wie die
erforderlichen Rahmenbedingungen zu gestalten und die notwendigen Arbeitsplätze zu schaffen sind.
Kapitalistisches Umfeld
Ein Rezept Gysis lautet, man müsse in Berlin Investoren bewerben, zum
Beispiel dadurch, dass man mit ihnen essen und in die Oper geht.
"Ich habe einen reichen Amerikaner kennengelernt, der wollte ein paar
Millionen für eine Oper da lassen. Na ja, er wollte gern, dass ein
Stuhl nach ihm benannt wird. Gut. Okay. Aber dafür ein paar
Millionen! Und er ist mit seinen Millionen wieder abgefahren ... Ihr
glaubt doch nicht im Ernst, dass der bei mir wieder abgefahren wäre mit seinen Millionen!
" Ein anderer Vorschlag des neuen Wirtschaftssenators ist, die BVG, die
Berliner Nahverkehrsbetriebe, an einen amerikanischen Konzern zu vermieten. Der spare damit Steuern, und mit dem Eingesparten mache man
halbe-halbe. Man werde sich wundern, zu welch unkonventionellen
Schritten die PDS bereit sei. Und namens seiner Partei drohte er der Hauptstadt "sozialistische Politik in einem kapitalistischen
Umfeld" an. Gysi als Wirtschaftssenator, so der BDI-Vizepräsident Hans-Olaf
Henkel, das ist bizarr.
Nicht minder bizarr ist die Vergangenheit des neuen Bürgermeisters. Für
viele in Ostberlin ist der Gedanke, dass ausgerechnet diesem Mann politische Verantwortung für die Stadt übertragen worden ist, unerträglich.
Denn Gysi war ein besonders willfähriger Untertan und Mittäter des SED-Regimes. Er stand zwar im Ruf, Dissidenten-Anwalt und
Reformer zu sein. Doch er war auch Vorsitzender der Kollegien der Rechtsanwälte. Und die waren in der DDR nicht etwa unabhängig und an
Gesetz und Recht gebunden, sondern es waren Rechts-Funktionäre und
der SED und ihren Organen unterstellt.
Der Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestages hat sich in der 13.
Legislaturperiode ausführlich mit der Vergangenheit Gysis befasst und
das Ergebnis im Mai 1998 veröffentlicht. Mit einer Mehrheit von zwei
Dritteln, auch mit den Stimmen der SPD, wurde damals "eine
inoffizielle Tätigkeit des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi für das Ministerium für
Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik als erwiesen
festgestellt". Gysi versuchte zwar, die Veröffentlichung
des Berichtes durch eine Organklage beim Bundesverfassungsgericht zu
verhindern. Doch damit scheiterte er. Das Oberste Gericht hat vielmehr
das Recht der Öffentlichkeit bestätigt, sich ein eigenes Urteil über
Gysi und sein Verhältnis zur Stasi zu bilden .
Seither versucht Gregor Gysi gegen alle juristisch vorzugehen, die ihn
gleichfalls als belastet ansehen und das öffentlich sagen. Das hat
mit dazu geführt, dass diese Vergangenheit im Berliner Wahlkampf kein
Thema mehr war. Doch die Flut der Unterlassungsklagen und Gegendarstellungen
wird letztlich nicht verhindern, dass mündige Bürger sich anhand der
Dokumente und Gutachten eine eigene Meinung über Gysi bilden und sie öffentlich machen . Ich jedenfalls halte, wie die SPD im Bundestag
auch, Gysis Spitzeltätigkeit für erwiesen. Wenn die Sozialdemokraten einen
solchen Mann jetzt am Kabinettstisch dulden, ist ihnen nicht zu
helfen.
Vielleicht halten sie die Vergangenheit ihres Koalitionärs ja überhaupt
für Schnee von gestern. Vor einigen Tagen wurden, wie in jedem
Januar, auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde Rosa
Luxemburg und Karl Liebknecht geehrt. Die Berliner Sozialdemokraten hätten
hingehen sollen; sie hätten ihre neuen Partner an einem Stalinbild
vorbeidefilieren sehen. Nicht, dass das Plakat jemand von der PDS
getragen hätte, das traue ich selbst den Leuten von der
Kommunistischen Plattform nicht zu. Aber es hat auch niemand gewagt
oder für notwendig erachtet, dem Träger die blutige Ikone aus der
Hand zu schlagen. Das offenbart mehr über die "demokratischen
Sozialisten" und ihr Verhältnis zur eigenen totalitären Vergangenheit als alle gewundenen Erklärungen und Präambeln.
Der Autor, Publizist in Berlin, war 1989 Gründungsmitglied der DDR-Bürgerbewegung
Demokratie Jetzt.
Beitrag
aus: © Frankfurter Rundschau, vom
21.01.2002
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