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Interview mit Joachim Gauck
Deutschlandfunk
- Interview der Woche
Interview vom:So. 9.4.2000 • 11:05 - Joachim Gauck,
Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes
der ehemaligen DDR.
Das Gespräch führte Matthias Thiel
DLF: In der Bundesrepublik ist erneut eine schwere Auseinandersetzung
um die Hinterlassenschaften der DDR-Staatssicherheit ausgebrochen.
Wieder hat Deutschland Probleme im Umgang mit den Akten. Zehn Jahre
nach der deutschen Einheit herrscht noch immer kein Konsens.
Ost-West-Gräben brechen wieder auf. Der Eindruck bei der Beobachtung
der politischen Diskussion in den letzten zwei Wochen drängt sich auf
- die gesetzlichen Regelungen sind zweideutig. Änderungen werden
gefordert, die Verfassungsmäßigkeit des Stasiunterlagengesetzes in
Frage gestellt - schon beginnt wieder eine neue Schlussstrich-Debatte.
Joachim Gauck, Auslöser war Ihre Behörde mit der Herausgabe von Abhörprotokollen,
die von Telefongesprächen des ehemaligen CDU- Schatzmeisters Walter
Leisler Kiep im Mielke-Ministerium erstellt wurden. Hat Sie diese
Aufregung überrascht?
Gauck: Ja und nein. Ja, weil wir seit Jahren Unterlagen herausgeben
und für verschiedene Zwecke entsprechend der gesetzlichen Grundlage
verwenden, die zu ihrem überwiegenden Teil rechtsstaatswidrig
zustande gekommen sind. Nein, weil wir bisher nicht so häufig
Protokolle von Abhörmaßnahmen herausgegeben haben. Das ist auch
schon öfter geschehen, aber es ist nicht das Tagesgeschäft, wie wir
es kennen - bei der Akteneinsicht Betroffener oder bei den Bescheiden,
die wir bei Anfragen des öffentlichen Dienstes herausgeben.
DLF: Öffentliche Reaktionen: Die waren auf der einen Seite sehr
heftig. Gab es aber auch politischen Druck in den letzten Tagen - und
wie stark war er? Gestern lasen wir von "Geheimtreffen" in
Zeitungen.
Gauck: Ich habe das mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. Also, wenn
sich Abgeordnete des Deutschen Bundestages mit dem Bundesbeauftragten
treffen, dann müssen die nicht vorher in allen Redaktionen anrufen
und sagen: ‚Ich beabsichtige jetzt,den Bundesbeauftragten
einzuladen', sondern sie können das einfach verabreden, und das muss
deshalb noch lange kein Geheimtreffen sein. Und ich habe keinerlei
Anlass, irgend etwas an meinen Kontakten mit der parlamentarischen
Welt zu verbergen. Natürlich unterhalte ich mich mit Frau Merkel oder
Herrn Nooke oder anderen Abgeordneten, die das Interesse haben. Und
besonders gerne würde ich ja zur PDS gehen. Also, es gibt da keine
Begrenzung.
DLF: Aber Wünsche werden an Sie herangetragen?
Gauck: Nein. Man fragt mich, warum ich das tue. Man ist interessiert
daran, meine Rechtsauffassung zu hören, und gerade dann besonders,
wenn im eigenen Bereich - etwa in der Fraktion der Union - eine andere
Rechtsauffassung dominiert. Die ist da vielleicht auch noch nicht
eindeutig, aber es gibt ein großes Unbehagen, dass ich unglaublich
gut verstehen kann. Ich selber bin Betroffener; mich hat die Stasi
auch abgehört und vielfältig observiert.Und ein Unbehagen daran,
dass Unterlagen aus solchen Aktionen der Öffentlichkeit gegeben
werden, die kann ich schon verstehen. Aber es ist eine Sache, wenn
Leute, die die gesetzliche Grundlage nicht kennen, sich äußern aus
dem Bauch heraus - und eine andere Sache, wenn Abgeordnete, die zum
Teil das Gesetz selbst mit geschaffen haben, nach dem ich arbeite,
jetzt so tun, als wären sie früher nicht dabei gewesen, als dieses
Gesetz geschaffen worden ist.
DLF: Aber nun habe ich beobachtet, dass die einstigen Gegner von Ihnen
sich mit Ihnen verbünden und Ihre eigentlichen Förderer ja Sie jetzt
persönlich kritisieren. Ihnen wird ja sogar rechtswidriges Verhalten
vorgeworfen. Sind Sie da nicht enttäuscht?
Gauck: Nein, also wenn mir rechtswidriges Verhalten vorgeworfen wird,
dann bin ich schon verwundert, denn noch in diesem Jahr habe ich unter
anderem aus der Unionsfraktion höchstes Lob für die Arbeit meiner
Behörde und auch für mich selbst erhalten, als ich den Deutschen
Bundestag besucht habe und in Sitzungen von Kommissionen anwesend war.
Nein, ich bin politischer Pragmatiker, und ich weiß, was eine
parteipolitische Auseinandersetzung ist. Und ich erlebe zur Zeit auch
so etwas wie ein Déjà-vu, natürlich nicht aus dem selben
politischen Lager. Da haben Sie mit Ihrer Frage völlig recht. Es ist
schon merkwürdig, dass man eine Zeit lang auf die Schulter geklopft
kriegt von einer bestimmten Seite des politischen Spektrums und
massenhaft Einladungen und Lob, und während man die selben Dinge tut,
dann plötzlich sich eine Wandlung des Zuspruchs und der Ablehnung
erfolgt. Das haben wir aber nun mehrfach erlebt. Ich bin daran gewöhnt,
es bestätigt mich in meiner unabhängigen Haltung. Der
Bundesbeauftragte wird jederzeit bereit sein, in der Erfüllung seiner
gesetzlichen Aufgaben auch Konflikte anzunehmen - hoffentlich hat er
die guten rechtlichen Argumente auf seiner Seite. Ich denke, dass ich
das habe.
DLF: Kommen wir zu diesen gesetzlichen Aufgaben. Die Verwendung von
illegal erstellten Telefonabhörprotokollen ist in Deutschland ja
eigentlich nicht zulässig; als Beweise kann ein
Untersuchungsausschuss diese also nicht heranziehen. In Kiel hat ja
das Landgericht schon entsprechend geurteilt. Trotzdem geben Sie
Unterlagen heraus. Auf welcher rechtlichen Grundlage? Welche Spielräume
lässt Ihnen da das Stasiunterlagengesetz?
Gauck: Das Stasiunterlagengesetz regelt abschließend meine
Befugnisse, meine Aufgaben,auch meine Kompetenzen. Das Urteil des
Landgerichtes Kiel, das Sie zitieren, bezieht sich nicht auf eine
Auseinandersetzung um einen Untersuchungsausschuss des Deutschen
Bundestages, sondern hier hatten SPD-Politiker gegen ihr eigenes
Parlament geklagt - nicht gegen unsere Behörde -, um zu verhindern,
dass ein Untersuchungsausschuss des Kieler Landtages Mitschnitte von
Telefonabhörungen der Staatssicherheit verwendet. Das Gericht kam zu
der Ansicht, dass das nicht zulässig sei in diesem Falle. Sie haben
das zur Kenntnis genommen und der Ausschuss hat uns die Unterlagen zurückgegeben.
Wenn wir Verfahrensbeteiligte gewesen wären, hätten wir eine
rechtliche Auseinandersetzung über mehrere Instanzen angestrebt. Das
hat es so nicht gegeben. So richten wir uns weiter nach den
Bestimmungen des Spezialgesetzes "Stasiunterlagengesetz".
Und danach können wir Unterlagen für bestimmte Zwecke - auch für
Untersuchungsausschüsse - herausgeben. Es gibt keine Einschränkung
hier im Stasiunterlegen-Gesetz, und der Bundesbeauftragte kann auch
nicht von sich aus eine Unterscheidung von Unterlagen vornehmen, also
ein Stasi-IM- Bericht, ein Protokoll einer Wohnraumabhörung durch
Wanzen, eine Aufzeichnung eines Telefonates, eine dokumentierte Brieföffnung
oder noch andere denkbare Stasi-Unterlagen, etwa Fotos. Sie alle
werden im Gesetz als ‚Stasi-Unterlagen' bezeichnet, und es gibt
keine spezielle Bezeichnung für diese Protokolle. Auch andere
Unterlagen neben den Telefonabhörprotokollen sind nach unserem Verständnis
grob rechtsstaatswidrig zustande gekommen, und wir sehen also keinen
Anlass, zwischen diesen und anderen Unterlagen einen Unterschied zu
machen.
DLF: Nun sind das aber ja jetzt, wenn wir über die Telefonabhörprotokolle
reden,Opferakten. Müssen die Opfer nicht besonders geschützt werden?
Haben nicht auch Personen des öffentlichen Lebens, also Politiker
Westdeutschlands, ein Recht darauf?
Gauck: Nicht nur Westdeutschlands, sondern alle Personen der
Zeitgeschichte haben ein Recht auf Respektierung ihrer Persönlichkeitsrechte.
Nun hat der Gesetzgeber in einem Paragraphen des Gesetzes festgelegt,
dass zur Aufarbeitung der Vergangenheit und zur Beförderung der
politischen Bildung nicht nur Unterlagen von Tätern - der Gesetzgeber
nennt diese ‚Mitarbeiter' - oder Begünstigten des
Staatssicherheitsdienstes herangezogen werden können, sondern auch
Unterlagen von Personen der Zeitgeschichte. Wenn diese Personen der
Zeitgeschichte früher mit der Stasi zusammengearbeitet hätten, dann
wären sie unter der Begrifflichkeit ‚Mitarbeiter' zu fassen. Alle
die, für die es eine IM-Akte gibt, nennt der Gesetzgeber
‚Mitarbeiter'. Er muss also andere Personen gemeint haben, nämlich
Nichtmitarbeiter - Leute, die abgehört wurden von der Stasi und nicht
Mitarbeiter waren. Und so kann Joachim Gauck oder Angela Merkel oder Günter
Nooke oder Herr Meckel von der SPD - wie Herr Kohl jetzt gewärtigen,
dass bestimmte Unterlagen von ihm für bestimmte Zwecke herausgegeben
werden. Und nun müssen wir abwägen, die überwiegenden schutzwürdigen
Interessen dieser Personen auch zu berücksichtigen. Und das machen
wir so, dass wir den privaten Teil der Informationen - Intimbereich,
Gesundheit, Geld, alle diese persönlichen Dinge - schützen würden,
während dort, wo diese Personen in ihrem Amt oder mit ihrer
politischen Funktion agieren, diese Informationen meinen wir,
herausgeben zu können, wenn es Anträge gibt, begründete Anträge
von Medien oder von Forschern.
DLF: Also Journalisten können weiter recherchieren, und auch die
wissenschaftliche Aufarbeitung ist gewährleistet - auch wenn der
Untersuchungsausschuss sagt: ‚Juristisch dürfen wir diese
Unterlagen nicht verwenden'?
Gauck: Das wird der Untersuchungsausschuss möglicherweise so nicht
sagen, sondern er wird vielleicht eine politische Entscheidung fällen:
"Wir verzichten auf die Heranziehung dieser Dokumente, obwohl wir
sie möglicherweise anfordern könnten". Das ist für den
juristischen Laien schwer verständlich. Es gibt noch mal einen
Unterschied zwischen der Anforderung solcher Unterlagen und der
Verwertung solcher Unterlagen. In meiner Behörde herrscht die
Rechtsauffassung, dass der Untersuchungsausschuss der Deutschen
Bundestages - Untersuchungsausschüsse kommen im Grundgesetz vor -
ganz hohe Kompetenzen hat, und dass es uns nicht zusteht - wir
erkennen es jedenfalls nicht aus dem Stasiunterlagengesetz -, diese
Kompetenzen einzuschränken. Wir prüfen nun folgendes: Passt der
Untersuchungsgegenstand des Untersuchungsausschusses zu den
angeforderten Materialien? Wenn wir ‚ja' sagen müssen, würden wir
es herausgeben. Dann - nach dieser Herausgabe, die legal ist - müsste
der Untersuchungsausschuss entscheiden, ob er diese Erkenntnisse
verwerten will. Und das ist eine erneute rechtliche Überprüfung. Es
kann sein, dass er Unterlagen zwar anfordert, aber bei der Verwertung
Schwierigkeiten hat. Das ist aber nicht die Entscheidung meiner Behörde.
DLF: Nun ist ja auch gleich auch sofort wieder eine
Ost-West-Diskussion ausgebrochen. Die einen sagen: ‚Jetzt schwindet
das öffentliche Rechtsbewusstsein' - so die westdeutschen Politiker.
Sie behaupten, ihre Unterlagen dürften nur dazu verwendet werden, die
Stasi zu durchleuchten und festzustellen - also Ihre Unterlagen, die
Sie in Ihrer Behörde haben, Herr Gauck. Und die Ostdeutschen fordern
die politische Hygiene ein. Haben Sie Verständnis dafür?
Gauck: Also ich habe Verständnis für diejenigen, die nicht Politiker
sind, die das Recht haben, aus ihrem Gefühl heraus zu argumentieren.
Bei Ministern und Abgeordneten wünschte ich mir eine stärkere
Befassung mit der Materie, bevor man zu öffentlichen Äußerungen
kommt. Ich kann diejenigen nicht verstehen, die die Beschwernisse der
Ostdeutschen, die als IM Probleme hatten - als Mitarbeiter der Stasi
Probleme hatten -, vergleichen mit den Problemen von Herrn Leisler
Kiep oder Herrn Lüttke oder gar Herrn Kohl, wobei wir zu Herrn Kohl
ja gar keine Unterlagen herausgegeben haben. Diese letztgenannten
Personen sind ‚Opfer' der Staatssicherheit. Die Beschwernisse der
‚Ossis', die hier oft zitiert werden, sind solcher Art, dass sie
wegen einer früheren Zusammenarbeit mit der Stasi jetzt vielleicht
aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden oder von Ihren
Medienkollegen öffentlich namhaft gemacht werden. Und da müssen wir
schon einen großen Unterschied machen. Vor allen Dingen gefällt mir
als ehemaligem Ossi nicht, dass so getan wird, als würden wir Ossis
alle mit der Stasi gekungelt haben. Tatsächlich war das nur eine
Minderheit von uns, etwa 1 Prozent. Und viel mehr waren Opfer der
Staatssicherheit, und für uns ist es eine Beleidigung, wenn man den
Ossi darstellt, als wäre ein normaler Ossi in helfendem Kontakt mit
der Stasi gewesen. Das ist hier gar nicht der Fall. Also, hier muss
man genau hinschauen. Dies ist eine Form der Ost-West-Debatte, die ich
für unsäglich erachte und an der ich mich nicht beteilige.
DLF: Helmut Kohl hat nun Einsicht verlangt in die Unterlagen . . .
Gauck: . . . hat er das? . . .
DLF: . . . sagen Pressemitteilungen. Wir haben öffentliche
Bekundungen, dass er dieses Material sich nun selber anschauen will.
Sein Rechtsanwalt wollte entsprechend Ihnen schreiben. Sie haben also
diese Anfrage noch nicht bekommen. Wie würden Sie eine solche Anfrage
beantworten?
Gauck: Bislang liegt in der Behörde ein Antrag des Bürgers Helmut
Kohl auf Akteneinsicht nicht vor. Und wenn seine Anwälte sich nun an
uns wenden, dann werden wir diesen Anfragen umgehend antworten. Wir
haben ein ganz hohes Interesse daran, dass die,Rechtssicherheit des Bürgers
Helmut Kohl gewahrt bleibt. Ich selber habe Helmut Kohl,erläutert,
warum ich in dieser Situation handelte, wie ich gehandelt habe. Und
als ehemaliger Bespitzelter der Staatssicherheit habe ich Mitgefühl
mit jedem, der von der Staatssicherheit bearbeitet und bespitzelt
worden ist. Gleichzeitig werbe ich um Verständnis dafür, dass der
Deutsche Bundestag Gründe gehabt hat, die politische Aufarbeitung
auch dadurch zu fördern, dass er den Personen der Zeitgeschichte
zugemutet hat, hinzunehmen, dass Informationen aus dem Bereich der öffentlichen
Tätigkeit an die Öffentlichkeit gelangen. Wenn der Gesetzgeber das hätte
anders haben wollen, hätte er es anders formuliert. Aber es steht nun
einmal in dem Gesetz, und ich würde willkürlich handeln, wenn ich
nun sage: ‚ Ach, ich finde Herrn Kohl so toll' - ich finde ihn
wirklich bemerkenswert für das, was er 1990 geleistet hat -, und weil
es so eine herausragende Figur der Zeitgeschichte ist, will ich mal
bei ihm andere Maßstäbe anlegen als bei anderen Personen der
Zeitgeschichte'. Das geht nicht, das wird kein deutscher Behördenleiter
so machen.
DLF: Aber gerade der Gesetzgeber diskutiert nun wieder Änderungen.
Gesetzesänderungen sind gefordert worden zum Beispiel von Norbert
Geis, dem rechtspolitischen Sprecher der Union, der eine Novellierung
des Stasiunterlagengesetzes verlangt. Zeigen nicht die aktuellen
Ereignisse, Herr Gauck, dass nun vielleicht doch Schluss gemacht
werden müsste: "Macht den Laden zu; das Kapitel ‚Stasi' gehört
ins alte Jahrhundert". Oder spricht der Behördenalltag bei Ihnen
eine andere Sprache?
Gauck: Er spricht wahrlich eine andere Sprache, denn die Deutschen
haben dieses Gesetz angenommen - die öffentlichen Stellen und die Bürger.
4,5 Millionen Anträge hat meine Behörde bekommen, und monatlich
gehen alleine aus dem Bereich der Bürger über 10.000 Anträge ein
bezüglich persönlicher Akteneinsicht - im Jahre 99 übrigens mehr
als im Jahre 98. Das Stasiunterlagengesetz hat sich bewährt. Es ist
ein für deutsche Verhältnisse wunderbares Gesetzeswerk - im
Interesse der Mehrheit der Unterdrückten und gegen die Interessen der
Minderheit der Unterdrücker. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber
gefunden, dass es nützlich ist für die Öffentlichkeit, dass sie
sich intensiv informiert über die Arbeitsmethoden und Strukturen der
Stasi. Er will das offensichtlich, damit wir Demokraten den
Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie besonders deutlich
wahrnehmen. Und in dieser Absicht, die politische Aufklärung zu befördern,
hat er bestimmte, in der Demokratie gewachsene Rechte - Persönlichkeitsrecht,
Datenrecht - ein bisschen modifiziert, zum Beispiel hat er die Persönlichkeitsrechte
der Helfer, also der inoffiziellen Mitarbeiter, ein wenig zurückgenommen
zugunsten der öffentlichen Aufklärung über Verstrickung, über die
Maßnahmen der Stasi. Er hat außerdem das Bundesarchivgesetz für
diesen Bereich nicht in Geltung gesetzt, sondern ein Spezialgesetz
geschaffen. Nach dem Archivrecht wären personenbezogene Informationen
30 Jahre lang gesperrt. Es gab gute Gründe, diese 30jährige Sperre
eben nicht für diesen Spezialfall - Überlieferung der
kommunistischen Diktatur - in Gang zu setzen. Und deshalb müssen wir
uns noch einmal fragen: Warum wohl hat der Gesetzgeber ein
Spezialgesetz geschaffen? Und die Antwort ist einfach; wir müssen uns
anschauen, was er wollte: Den Opfern helfen und die Gesellschaft aufklären.
Wenn die Abgeordneten meinen, das sei ein zu weit gehendes Recht, dann
werden sie es verändern. Aber als sie das Gesetz machten, ist diese
Debatte schon einmal geführt worden. Und da hat man gefunden, dass
die Pressefreiheit ein so hohes Gut ist - und außerdem ebenfalls im
Grundgesetz verankert ist -, dass man die Rechte der Medien auf Zugang
zu sensiblen Informationen hier nicht begrenzen mochte. Ich bin ganz
gespannt, ob die jetzigen Mehrheiten zu einer anderen Auffassung
gelangen. Und dann möge der Deutsche Bundestag novellieren. Dann
werde ich diese veränderte Rechtssetzung respektieren und sofort
umsetzen.
DLF: Lange haben Sie auf das Material gewartet, jetzt sind die ersten
ausgewählten Daten aus den USA im Kanzleramt angekommen - Stichwort
"Rosenholz" und das gesammelte Wissen der HVA, der
Hauptverwaltung Aufklärung. Der Streit ist nun um die Verwendung der
CDs entbrannt. Sie verlangen von der Bundesregierung die Herausgabe.
Warum? Ermittlungsbehörden haben doch die Dokumente schon
durchforstet und eigentlich die westdeutschen Spione enttarnt. Was
versprechen Sie sich jetzt von den Inhalten?
Gauck: Also, im Moment verlange ich gar nichts. Im Moment akzeptiere
ich, dass der Empfänger, nämlich der Bundesminister des Inneren als
nationale Sicherheitsbehörde, sich unter Beiziehung der Kompetenz
meines Hauses ein Bild macht: Um welche Unterlagen handelt es sich
eigentlich. Nach allem, was wir hören, muss meine Behörde - müsste
jeder Bundesbeauftragte - sagen: ‚Das sind Stasi-Unterlagen, und
Stasi-Unterlagen gehören in unseren Kompetenzbereich'. Gleichzeitig mögen
andere fragen: ‚Das wollen wir noch einmal feststellen, ob es
Stasi-Unterlagen sind'. Und so müssen wir damit rechnen, dass der
Bundesminister des Inneren - sicher in Übereinstimmung mit dem
Kanzleramt - eine Expertengruppe bildet, um zu begutachten, was das
denn tatsächlich nun für Unterlagen sind. Und diese Begutachtung
wird möglicherweise ein wenig länger dauern, denn im Moment gibt es
wahrscheinlich erst eine CD-ROM, und noch niemand hat diese CD-ROM in
Deutschland lesen können, weil die entsprechenden technischen
Voraussetzungen noch gar nicht gegeben sind.
DLF: Ihnen - und das meine ich ganz persönlich
Ihnen, Herr Gauck, ist es zu verdanken, dass die Stasi-Unterlagen 1990
nichtauf "Nimmerwiedersehen" im Koblenzer Bundesarchiv
verschwanden. In diesen Tagen hören wir von angeblich gezielten
Vernichtungsaktionen im Auftrag - oder zumindestens mit Wissen und
Duldung - der damaligen Bundesregierung. Wussten Sie damals davon?
Gauck: Erstens: Mir persönlich wäre das sicher nicht gelungen, eine
bestimmte Regelung durchzusetzen oder andere Regelungen zu verhindern,
sondern es gab unglaublich große Mehrheiten der frei gewählten
Volkskammer über alle Fraktionen hinweg, die sagten:Dieses Material,
was die Revolution gesichert hat durch die Besetzung der
Stasi-Zentren, dieses Material wird genutzt - Zitat - ‚für die
politische, juristische und historische Aufarbeitung der
Vergangenheit'. Dazu gab es ein Gesetz - vor der Einheit,
verabschiedet am 24. August 1990 - durch die frei gewählte
Volkskammer. Dieses Gesetz wurde nicht als fortwirkendes Recht
anerkannt. Und dann hat die Mehrheit der Volkskammer, und dann haben Bürgerrechtler
hier in Berlin und anderswo - die noch mal die vormaligen Stasi- Gebäude
besetzen; Bärbel Bohley war da noch mal sehr aktiv - Druck gemacht
und gesagt: "Diese Unterlagen, die das Herrschaftswissen unserer
Unterdrücker enthalten, die werden wir nicht hier einfach weggeben,
sondern die wollen wir nutzen - wie im August beschlossen". Das
haben die Verhandlungspartner irgendwie akzeptiert. Es gab einen
Kompromiss: Das Gesetz der Volkskammer stirbt zwar mit der deutschen
Vereinigung, aber - so heißt es im Einigungsvertrag - alsbald nach
der deutschen Vereinigung soll der Deutsche Bundestag ein neues Gesetz
machen. Das hat er auch getan auf der Grundlage des
Volkskammergesetzes. Und so ist es 91 dann zu dieser gesetzlichen
Regelung gekommen, die heute Grundlage unserer Arbeit ist. Die
Vernichtung der Materialien, die drüben vor der Einheit angeboten
wurden - in der Regel wahrscheinlich durch Überläufer des MfS -,
diese Unterlagen sind zum Teil in einer Redaktion, vielleicht aber
mehrheitlich beim Verfassungsschutz der Länder oder des Bundes
angeboten. Und da hat in der Rechtstradition der alten Bundesrepublik
die Ministerrunde der Innenminister und der Bundesinnenminister
gesagt: "Dies Material können wir nicht verwenden, also
vernichten wir es". Das Unbehagen der Abgeordneten der
Volkskammer bestand darin, dass ein an und für sich zu bejahender
Prozess - aber wir hätten auch ganz gerne eine Rechtsgrundlage dafür
geschaffen, die es damals nicht gab. Aber der Fairness halber sollten
wir sagen, dass wir zwar nicht genau wissen, was Distel damals alles
herübergegeben hat, aber wir dennoch davon ausgehen müssen, dass das
in Rede stehende Material - Telefonabhörprotokolle - wahrscheinlich
schon früher drüben angeboten wurde durch Offiziere des ehemaligen
MfS oder andere, und dass es sich um zwei Aktenkonvolute handelte:
Eines, das quasi offiziell übergeben wurde und ein anderes, das
inoffiziell transferiert wurde.
DLF: In den letzten Wochen steht Ihre Behörde wieder sehr im
Rampenlicht. Ist Ihnen das eigentlich recht, dass wieder sehr viel stärker
auch Ihre Person gefragt ist, oder würden Sie lieber etwas mehr in
Ruhe arbeiten?
Gauck: Ja, natürlich würden wir lieber in Ruhe arbeiten. Aber wir müssen
ja akzeptieren, dass es bei der Auslegung eines bestimmten Paragraphen
des Stasiunterlagengesetzes auch rechtliche Unterschiede gibt. Natürlich
ist einer, der Verantwortung für ein sensibles Gebiet hat, nicht glücklich
darüber, dass es keine einheitliche Rechtsauffassung gibt bei der
Auslegung. Aber in der Behörde des Bundesbeauftragten arbeiten seit
vielen Jahren hochkompetente Juristen, und wir sind in all den Jahren
nicht ein einziges Mal unter die Rechtsaufsicht der Bundesregierung
gestellt worden. Wir sind auch kein einziges Mal von irgendeinem
Gericht als Betroffene verurteilt worden, weil wir falsches
Verwaltungshandeln ausgeübt hätten. Da ist man schon besorgt, dass
eine solche Debatte ausbricht. Wenn allerdings diese Debatte dazu führt,
dass es eine größere Rechtssicherheit für die Öffentlichkeit, aber
auch für meine Behörde gibt, dann ist die Debatte nützlich. Und der
parteipolitische Pulverdampf, der wird sich verziehen, das kennen wir
früher aus anderen politischen Lagern. Immer dort, wo ein
Stasi-Problem aufschlägt - sei es in einem Sportverein, in einem
Theater, einem Sender, einer Redaktion oder in einer politischen
Partei -, gibt es dort eine besondere Animosität, und Debatten, die
an anderen Stellen schon längst durch sind, fangen dann neu an. Das
kennen wir und das verzieht sich. Wo es aber eine Rechtsunklarheit
gibt oder zwei unterschiedliche Varianten der Auslegung möglich sind,
da sollte man danach trachten, dies auszuräumen und zu einer
einheitlichen Rechtsauffassung zu gelangen.
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