Gästebuch
Forum
Akten
Abkürzungen
Abhörprotokolle
Briefkontrolle
Paketkontrolle
Observation
Fotoreport
Videoreport
IM
Einsatz
Verhörtaktik
Sonstiges
|
Observation
Das MfS gewährleistete im Auftrag der SED - Diktatur die
umfassende, flächendeckende und akribische Beobachtung. Die Arbeit
der überwiegenden Mehrheit der hauptamtlichen Mitarbeiter der Stasi
richtete sich gegen die eigene Bevölkerung - auch wenn die
Legendenbildung stets vom kapitalisischen Ausland und vom
"Klassenfeind" sprach.
Ab September wird in einer neuen Rubrik die Observation des MfS
behandelt. Vorab stellen wir die Arbeitsweise eines der
"Spezialkommandos" vor:
"Auf die Methode lautlosen Tötens ist
besonderer Wert zu legen"
Die Staatssicherheit der DDR bildete Mordkommandos für Einsätze im
Westen aus - dies belegen Akten der Gauck-Behörde
Die Tschekisten von der "Arbeitsgruppe Minister (AGM/S)" im
Ministerium für Staatssicherheit der DDR waren nervös: Anläßlich
des 20. Jahrestages der DDR-Gründung im Oktober 1969 hatte sich Erich
Mielke persönlich angesagt, um sich ein Bild von der Schlagkraft
seiner Spezialeinheit zu machen. Diese hatte sich auch eine besondere
Demonstration ihrer technischen Fertigkeiten ausgedacht: Ein Wartburg
sollte vor den Augen des hohen Gastes in Fahrt gesetzt und bei Tempo
20 "durch elektrischen Kontakt gesprengt werden".
Die Vorstellung wurde akribisch vorbereitet: Auf einer eigens für
diesen Anlaß gezimmerten Tribüne installierten die Techniker der
AGM/S eine Zündanlage für das Auto in Form eines Armaturenbrettes,
mit der Minister Mielke den Wartburg auf seine letzte Fahrt schicken
sollte. Vorab hatten sie zehnmal die Fernbedienung des
Wartburg-Anlassers geprobt, da man um die Tükken des
DDR-Automobilbaus wußte. Dennoch waren die Stasi-Techniker aufgeregt:
"Alle beteiligten Genossen stellten sich die Frage: Wird s
klappen?" erinnert sich Jahre später ein MfS-Offizier in einem
Aufsatz an den denkwürdigen Tag. "Aber als der Genosse Minister
startete, der Wartburg sich in Bewegung setzte, nach Sekunden in
Flammen aufging, hatten wir Freudentränen in den Augen, weil sich die
Mühe gelohnt hatte."
Im "Operationsgebiet"
Die bizarre Episode findet sich in einem Dokumentenberg von mehr als 4
000 Seiten, die von der Gauck-Behörde im Archiv der
Stasi-Hauptverwaltung XXII entdeckt worden sind. Die Dokumente der
AGM/S, darunter Jahrespläne, Ausbildungsunterlagen und Befehle, die
von 1964 bis in die Zeit kurz nach der Wende in der DDR reichen,
belegen erstmalig den von MfS-Generälen stets zurückgewiesenen
Verdacht, die Stasi habe eigene "Spezialkämpfer" für Mord-
und Terroranschläge im sogenannten Operationsgebiet, der
Bundesrepublik, ausgebildet.
Die von hochrangigen MfS-Offizieren über Jahrzehnte akribisch geführten
Akten dokumentieren, daß Stasi-Spezialkämpfer seit Mitte der
sechziger Jahre dafür ausgebildet wurden, einzeln oder als
Terrorkommandos Mordanschläge sowie Brand- und Sprengstoffattentate
in der Bundesrepublik zu verüben und dies nicht nur im Kriegsfall.
Mit ihren "tschekistischen Kampfaktionen" sollten sie ausdrücklich
auch unter normalen "relativ friedlichen Bedingungen" eine
"Beschädigung oder Lahmlegung" wichtiger Einrichtungen der
Bundesrepublik herbeiführen und für eine "zielgerichtete
Liquidierung" von Verrätern und "führenden Personen"
sorgen.
"Die Spezialkämpfer sollten, wie es heißt, auch in Zeiten einer
"fortschreitenden Tendenz der internationalen Entspannung"
aktiv werden. Als ein positives Beispiel von Anschlägen gegen
"Einrichtungen des Imperialismus" beschreibt das MfS in
einem Papier den Sprengstoffanschlag gegen den Sender Radio Free
Europe in München im Februar 1981.
Zu den "Angriffsobjekten" der Stasi-Terrorgruppen gehörten
neben Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Medien und militärischen
Anlagen auch Verkehrs- und Versorgungseinrichtungen wie etwa
Eisenbahnstrecken, Kraftwerke und Trinkwasserbetriebe. In
Ballungszentren sollten der Verwaltungsapparat, Fernseh- und Hörfunkstudios,
Archive und Datenbänke angegriffen werden.
Dabei sollten "die tschekistischen Einzelkämpfer und
Einsatzgruppen" speziell in Friedenszeiten "in besonderem Maße
die Szene der Terror- und Gewaltverbrechen" in der Bundesrepublik
nutzen, "um mit dieser Tarnung und Abdeckung ihre Kampfaufgaben
vorzubereiten und durchzuführen", heißt es in einem Papier der
"AGM/S" von 1982.
Mitte der achtziger Jahre wuchs der Minister Mielke direkt
unterstellten Arbeitsgruppe eine weitere Aufgabe zu: die
Terrorkommandos sollten sich an den "politisch-operativen
Sicherungsaufgaben" im Inland, also in der DDR, beteiligen. Die
Stasi-Spezialkämpfer wurden vor allem zur "Verhinderung und Bekämpfung
demonstrativ-provokatorischer Handlungen, Zusammenrottungen und
Rowdytum" eingesetzt. 1986 verzeichnete die Stasi
"Sicherungseinsätze" zum Jahrestag der DDR, bei der Eröffnung
der Staatsoper in Berlin, bei Aktionen an der Grenze und bei einem
Empfang in der Botschaft der UdSSR. Schöne
Stunden
Die Gründung der Spezialeinheit geht auf einen Befehl Erich Mielkes
vom 21. Januar 1964 zurück, mit dem die Stasi in die Lage versetzt
werden sollte, "unter allen Bedingungen aktive Maßnahmen gegen
den Feind und sein Hinterland erfolgreich durchführen zu können".
Insgesamt wurden zwischen 1962 und 1985 fast 3 500 hauptamtliche
Stasi-Mitarbeiter und IM "spezifisch ausgebildet". Gut die Hälfte
davon waren Stasi-IM, die in den DDR-Streitkräften dienten. Der Rest
wurde in speziellen Diensteinheiten mehrerer Stasi-Bezirksverwaltungen
zusammengefaßt. Im Jahre 1985 bezifferte AGM/S-Chef General Stöcker
das "real verfügbare Kräftepotential mit einsatzgerechtem
Ausbildungsstand" auf insgesamt 1 044 Spezialkämpfer.
Die Ausbildung dieser Terrorkommandos wurde bis Ende der achtziger
Jahre optimiert, wie aus den Ausbildungsunterlagen der Stasi für die
Spezialkämpfer hervorgeht. Sie wurden im Ausüben von Sprengstoff-
und Giftanschlägen ebenso geschult wie in der "Kampf-Schießausbildung"
und im "tödlichen Nahkampf". Das "Liquidieren"
von Personen zählte zu den Grundaufgaben der Stasi-Kämpfer. Damit
ist "die physische Vernichtung von Einzelpersonen und
Personengruppen" gemeint, erläutert ein MfS-Papier von 1973.
"Erreichbar" sei "das Liquidieren" durch
"Erschießen, Erstechen, Verbrennen, Zersprengen, Strangulieren,
Erschlagen, Vergiften oder Erstikken", heißt es in dem Dokument.
In verschiedenen Ausbildungsobjekten in der DDR trainierten daher die
Stasi-Kämpfer vor allem den "tödlichen Nahkampf". Die
Stasi-Guerilla übte den Angriff mit und ohne Waffen auf die
"empfindlichsten Stellen des Körpers und des Kopfes". An
Spezialpuppen wurde etwa der Angriff mit Stichwaffen aus verschiedenen
Stichrichtungen trainiert. Empfohlen wird die Verletzung von "Schädeldach,
Augen, Geschlechtsorganen, Schläfen- und Halsschlagader".
"Auf die Methode der lautlosen Annäherung und des lautlosen Tötens
ist besonderer Wert zu legen", heißt es in den
Ausbildungsrichtlinien.
Am Rande dieser Ausbildungslager inszenierte die Stasi für Ausbilder
und Kämpfer der Terrorkommandos ein fröhliches MfS-Familienleben. Am
Frauentag, 1. Mai, 7. Oktober und anderen Festtagen fanden sich die
Trainingsteilnehmer mit ihren Frauen und Kindern abends zum "gemütlichen
Beisammensein bei Musik und Tanz im Objekt" ein. Die Kinder
wurden dabei mit "Eierlaufen, Sackhüpfen, Topfschlagen und
Luftgewehrschießen (für die größeren Kinder)" belustigt.
"Es waren für Erwachsene und Kinder schöne Stunden gemeinsamen
Erlebens und bleibende Erinnerung", heißt es in einer Chronik
der Stasi-Kämpfer.
Für die Tötungstechnik der "Einsatzgruppen" war eine
eigene Abteilung, der "Dienstbereich 2" der AGM/S, zuständig.
Laut einer vom Leiter Stöcker 1984 bestätigten und in den kommenden
Jahren fortgeschriebenen Aufgabenbeschreibung war der Dienstbereich für
die "Bereitstellung ausgewählter aufgabenbezogener
operativ-technischer Einsatz- und Kampfmittel" verantwortlich. In
"ständiger schöpferischer Auswertung" der Beschlüsse der
SED und der stasi-internen Befehle und "unter Berücksichtigung
der modernsten internationalen wissenschaftlich-technischen
Erkenntnisse" entwikkelten und erprobten die Genossen neue,
geheimdiensttaugliche Spezialwaffen für den geheimen Einsatz in
West-Deutschland, außerdem Spreng-, Brand- und chemische Kampfmittel
sowie elektronische und Funkausrüstung.
Die Bandbreite reichte dabei von der Anfertigung von Schalldämpfern für
Handfeuerwaffen, der Konstruktion und Erprobung unauffälliger Koffer
mit eingebauter Maschinenpistole, der "Anwendung von Aerosolen
und Gasen, Giften und Narkotika" bis zur Ausbildung im Umgang mit
radioaktiven Kampfstoffen. Lapidar wird unter der Überschrift
"Radiologische Mittel" auch die "Anwendung von
Kernminen", also atomarer Sprengsätze, aufgelistet. Für
kleinere Sprengaufgaben entwickelten die Techniker Mielkes
"Sprengtextilien". Zu Probezwecken wurden zum Beispiel sechs
Paar explosive Socken angefertigt.
In detaillierten, langfristigen Ausbildungs- und Unterrichtsplänen
wurden den Mitarbeitern der AGM/S jedoch nicht nur technische
Kenntnisse wie die Öffnung eines "Buntbartschlosses"
westlicher Bauart, die "Sprengung einer Stahlbrücke" oder
Methoden der "illegalen Lagerung von Waffen und Munition" in
der Bundesrepublik vermittelt. Großer Wert wurde auch auf die
systematische Vermittlung eines "unerschütterlichen"
Feindbildes und die ideologische Festigung der Spezialkräfte gelegt,
um sie zur selbständigen und verläßlichen Arbeit im
"Operationsgebiet" Bundesrepublik zu befähigen. In einer
"Einschätzung" aus dem Jahr 1979 konstatierte die Leitung
der "Einsatzgruppen" befriedigt, daß die Kämpfer fähig
zur Selbstkritik seien. "Die Mottos ,Meine Hand für mein Produkt
und ,Jeder liefert jedem Qualität " seien "noch stärker in
den Mittelpunkt der Tätigkeit gerückt".
Ausbildung für das Ausland
Die AGM/S exportierte ihre Kenntnisse und Fähigkeiten auch in
befreundete Länder. So wird für das Jahr 1981 über die Ausbildung
von 220 Kadern zu Einzelkämpfern/Gruppenführern zur "Bekämpfung
konterrevolutionärer Elemente und Stützpunkte" berichtet. In
eigener Zuständigkeit oder in Kooperation mit anderen
MfS-Dienststellen unterrichtete die Sondertruppe Mielkes laut einer
Aufstellung unter anderem Kader des ANC aus Südafrika, der Swapo aus
Namibia, Abgesandte aus Mozambique, Kongo, der PLO/El Fatah,
Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes in Nicaragua und der KP
Honduras.
Unter Federführung der HVA Markus Wolfs wurden die
AGM/S-Spezialagenten auch in Auslandsvertretungen der DDR in
Spannungsgebieten eingesetzt, unter anderem in Pakistan, Irak, Syrien,
Ägypten, Afghanistan, aber auch in Spanien.
(Berliner Zeitung vom
01.04.2002, von Renate Oschlies)
|